1. Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den Mehrvergleich
Erstreckt sich der Vergleich auf nicht anhängige Ansprüche, bedarf es einer ausdrücklichen Erstreckung der VKH-Bewilligung auch auf diesen Vergleich. Eine automatische Erstreckung auf die nicht anhängigen Ansprüche erfolgt nicht. Das gilt, wenn der Vergleich sowohl anhängige als auch nicht anhängige Ansprüche umfasst, nur für letztere. Eine stillschweigende Erstreckung der VKH-Bewilligung scheidet auch dann aus, wenn der Vergleich einem gerichtlichen Vorschlag entspricht oder das Gericht erst nach Abschluss des Mehrvergleichs über die VKH entscheidet.
Es bedarf deshalb stets einer ausdrücklichen Bewilligung oder Erstreckung der VKH auch auf den Mehrvergleich. Hierauf muss der beigeordnete Anwalt achten und sollte ggf. sogleich in dem Termin auf eine entsprechende Entscheidung drängen.
Auch im Rahmen seiner Entscheidung, ob VKH für den Mehrvergleich zu bewilligen ist, muss das Gericht prüfen, ob die objektiven Voraussetzungen für die VKH-Bewilligung vorliegen. Dabei hat jedoch unberücksichtigt zu bleiben, dass für die weiteren in den Vergleich einbezogenen Regelungsgegenstände die nach § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO erforderliche Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung regelmäßig nicht erfolgen kann, da diese nicht anhängig gemacht worden sind. Nach Auffassung des BGH kommt allein aus diesem Grund eine Versagung der VKH-Bewilligung nicht in Betracht, da dies der besonderen Bedeutung nicht gerecht werde, die dem Mehrvergleich für eine umfassende Regelung komplexer Lebenssachverhalte zukomme. Es liege zudem im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob und in welchem Umfang es die Einigung, welche über den Verfahrensgegenstand hinausgeht, als gerichtlichen Vergleich protokolliere.
2. Anwaltsvergütung
Ist VKH auch für den Mehrvergleich bewilligt, erhält der beigeordnete Anwalt wegen § 48 Abs. 1 S. 2 RVG aus der Staatskasse sämtliche Gebühren erstattet, die für den Abschluss des Vergleichs anfallen. Die Regelung wurde durch das KostRÄG 2021 zum 1.1.2021 eingeführt. Damit sollte die in der Rspr. strittige Frage des Umfangs des gegen die Staatskasse bestehenden Vergütungsanspruchs geklärt werden. Die Erstattung ist folglich nicht auf die Einigungsgebühr beschränkt, sondern umfasst in jedem Fall auch die Differenzverfahrens- und die Terminsgebühr. Der Gesetzgeber ist damit der Rspr. des BGH gefolgt, der zuletzt ebenfalls sämtliche Gebühren als erstattungspflichtig angesehen hat.
Im Fall der VKH-Bewilligung für einen Mehrvergleich ist zudem Anm. Abs. 1 S. 1 zu Nr. 1003 VV zu beachten, die auf § 48 Abs. 1 RVG verweist. Auch diese Regelung wurde durch das KostRÄG 2021 zum 1.1.2021 geändert, nachdem dort bis dahin nur auf § 48 Abs. 3 RVG verwiesen wurde. Mit dieser Änderung sollte sichergestellt werden, dass der beigeordnete Anwalt auch dann eine 1,5-Einigungsgebühr aus der Staatskasse erhält, wenn VKH lediglich für den Vergleich bewilligt wurde.
Beispiel 2
In einer Kindesunterhaltssache wird VKH bewilligt und der Anwalt beigeordnet. Die Beteiligten schließen in der mündlichen Verhandlung einen Vergleich, mit welchem sowohl der anhängige Kindesunterhalt und sogleich der nichtanhängige Trennungsunterhalt geregelt werden. Der Verfahrenswert beträgt 8.000,00 EUR und der Vergleichswert 18.000,00 EUR (Kindesunterhalt: 8.000,00 EUR und Trennungsunterhalt: 10.000,00 EUR). VKH wird auch für den Mehrvergleich bewilligt.
Der beigeordnete Anwalt erhält aus der Staatskasse:
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
412,10 EUR |
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(Wert: 8.000,00 EUR) |
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2. |
0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 VV |
271,20 EUR |
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(Wert: 10.000,00 EUR) |
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gem. § 15 Abs. 3 RVG |
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499,20 EUR |
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nicht mehr als |
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1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
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(Wert: 18.000,00 EUR) |
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3. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
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460,80 EUR |
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(Wert: 18.000,00 EUR) |
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4. |
1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1003 VV |
317,00 EUR |
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(Wert: 8.000,00 EUR) |
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5. |
1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV |
508,50 EUR |
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(Wert: 10.000,00 EUR) |
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gem. § 15 Abs. 3 RVG |
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576,00 EUR |
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nicht mehr als |
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1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV |
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(Wert: 18.000,00 EUR) |
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6. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
7. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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295,64 EUR |
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Gesamt |
1.851,64 EUR |
Wird der Mehrvergleich, für den VKH bewilligt wurde, in einem Rechtsmittelverfahren abgeschlossen, fällt für die anhängigen Ansprüche eine 1,3-Einigungsgebühr nach Nr. 1004 VV an und für die nicht anhängigen Ansprüche eine 1,5-Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV, höchstens aber eine 1,5-Einigungsgebühr nach dem Gesamtwert (§ 15 Abs. 3 RVG). Zudem fällt in der Beschwerdeinstanz eine 1,1-Verfahrensdifferenzgebühr nach Nr. 3201 VV an.
Beispiel 3
In einem Beschwerdeverfahren wegen einer Güterrechtssache wird VKH bewilligt und der Anwalt beigeordnet. Die Beteiligten schließen vor dem OLG in der mündlichen Verhandlung einen Vergleich. In dem Vergleich werden die anhängigen Ansprüche von 20.000,00 EUR und ein weiterer nicht...