§ 45 RVG; §§ 397a, 406h StPO
Leitsatz
- Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Beiordnung eines Verletztenbeistands im Ermittlungsverfahren kann das Gericht die Nebenklagebefugnis nicht wegen des Fehlens des Tatverdachts ablehnen, wenn die Staatsanwaltschaft zur selben Zeit das Verfahren gerade wegen des Verdachts eines Nebenklagedelikts zum Nachteil des Verletzten in vertretbarer Weise weiterbetreibt.
- Bei rückwirkender Beiordnung eines Verletztenbeistands kommt es grundsätzlich auf die Verhältnisse zur Zeit der Antragstellung an.
LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 18.9.2024 – 12 Qs 34/24
I. Sachverhalt
Eine Zeugin hatte in einer polizeilichen Aussage angegeben, bei ihr sei wegen eines Streits, den sie am 10.12.2023 mit ihrem Verlobten gehabt habe, eine Polizeistreife erschienen. Als sie mit den zwei männlichen Polizeibeamten, den Beschuldigten, allein im Zimmer gewesen sei, hätten diese sie aufgefordert, sich zu entkleiden, und sie körperlich abgetastet. Dabei hätten sie ihr an die Brust gegriffen und die Finger – angeblich zu Durchsuchungszwecken – in ihre Vagina eingeführt. Anschließend, am selben Tag, wurde die Zeugin im Hinblick auf ein mögliches Sexualdelikt ärztlich untersucht.
Am 19.12.2023 wurde den beiden Beschuldigten durch Beamte des LKA mitgeteilt, dass gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen sexueller Nötigung zum Nachteil der Zeugin eröffnet worden sei. Die Beschuldigten machten keine förmliche Aussage zur Sache; einer von ihnen stritt – aktenkundig – den Vorwurf gegenüber einer LKA-Beamtin ab.
Am 8.1.2024 zeigte sich der Rechtsanwalt für die Zeugin an, beantragte Akteneinsicht und seine Beiordnung als Opferanwalt gem. § 406h Abs. 1, 3 mit § 397a Abs. 1 Nr. 1, 4 StPO. Am 17.1.2024 wies ein Sachbearbeiter des LKA vor einer weiteren angesetzten Vernehmung der Zeugin den Rechtsanwalt auf Widersprüche in deren bisheriger Aussage hin, woraufhin letzterer mitteilte, die Zeugin werde sich künftig vollumfänglich auf das Aussageverweigerungsrecht gem. § 55 StPO berufen und sich ggf. erst nach Akteneinsicht durch den Anwalt einlassen. Die Zeugin sagte daraufhin und seitdem nicht mehr aus. Unter dem 26.3.2024 stellte die Kriminalpolizei ihren Schlussbericht fertig und legte die Akte der Staatsanwaltschaft vor.
Am 15.6.2024 eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen falscher Verdächtigung gegen die Zeugin. Das Ermittlungsverfahren gegen die beiden Polizeibeamten wurde mit Verfügung vom 19.7.2024 gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft bestand der Rechtsanwalt auf der Verbescheidung seines Beiordnungsantrags. Am 8.8.2024 bestellte ihn die Ermittlungsrichterin des AG rückwirkend zum 9.1.2024 als Beistand der Zeugin. Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Das AG habe übersehen, dass die Zeugin bereits bei Antragstellung vom 8.1.2024 das Aussageverweigerungsrecht gehabt habe. Zudem habe die Zeugin bei ihrer Anzeigeerstattung gelogen und es sei zweifelhaft, ob sie überhaupt als Verletzte i.S.d. § 406h StPO gelten könne. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hatte keinen Erfolg.
II. Zulässigkeit der Beschwerde der Staatsanwaltschaft
Die Beschwerde sei, so das LG, zulässig erhoben; insbesondere sei die Staatsanwaltschaft gegen die Beiordnung beschwerdebefugt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., 2024, § 379a Rn 18, 19; LR-StPO/Wenske, 27. Aufl., 2023, § 396 Rn 34).
III. Voraussetzungen für die Bestellung des Verletztenbeistandes
Das LG erachtet die Bestellung des Rechtsanwalts zum Verletztenbeistand als zutreffend.
1. Verdachtsdichte
Zur Frage, wann die Bestellung zu erfolgen habe, verweist das LG auf die insoweit bestehenden unterschiedlichen Auffassungen in Rspr. und Lit. Eine Auffassung lasse die auch nur geringe Möglichkeit bzw. einen einfachen Anfangsverdacht, dass der Beschuldigte ein Delikt i.S.d. § 397a Abs. 1 StPO begangen habe und seine Verurteilung deswegen in Betracht komme bzw. die Verurteilung wegen einer Nebenklagestraftat rechtlich möglich erscheine, genügen (OLG Hamm, Beschl. v. 9.3.2021 – III-4 Ws 35/21; OLG Celle, Beschl. v. 14.12.2016 – 2 Ws 267/16; KK-StPO/Zabeck, 9. Aufl., 2023, § 406h Rn 2; BeckOK StPO/Weiner, 52. Ed., Stand: 1.7.2024, § 406h Rn 1). Eine striktere Auffassung verlange demgegenüber einen qualifizierten Anfangsverdacht hinsichtlich einer Katalogtat aus § 397a Abs. 1 StPO, der jedenfalls eine Weiterführung der Ermittlungen gestatte und aufgrund dessen jedenfalls die Möglichkeit besteht, dass der für eine spätere Anklageerhebung notwendige hinreichende Tatverdacht noch begründet werden könne (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 10.5.2005 – 2 Ws 28/05; OLG Oldenburg, Beschl. 25.2.2009 – 1 Ws 120/09; LR-StPO/Wenske, 27. Aufl., 2023, § 406h Rn 29). Die Frage, welcher Verdachtsgrad nun gegen die Beschuldigten anzulegen gewesen sei, hat das LG dann aber offen gelassen. Vorrangig sei nämlich zu beachten, dass die Nebenklagebefugnis wegen des Fehlens des Tatverdachts – wie immer man ihn näher festlege – grds. nicht durch das Gericht verneint werden könne, wenn die Staatsanwaltschaft zur selben Zeit das Verfahren gerade wegen des Verdachts eines Nebenklaged...