Richterliche Unabhängigkeit, Ignoranz oder Rechtsbeugung?
Das OLG Oldenburg gibt keine Ruhe: Es ignoriert das BVerfG in unerträglicher, bisher auch wohl seltener Art und Weise nachhaltig und setzt offenbar auf Resignation der Anwälte und Parteien. Durch die Vielzahl der Veröffentlichungen zur Streitwertfestsetzung in Ehesachen mit und ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe (nach der Terminologie des FamFG Verfahrenskostenhilfe) hat es sich herumgesprochen,
▪ |
dass es willkürlich ist, den Streitwert (nach der Terminologie des FamGKG nunmehr Verfahrenswert) in einer Ehesache ohne Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse festzusetzen und |
▪ |
dass eine Verminderung des Streitwertes der Ehesache wegen Bewilligung von Prozesskostenhilfe für beide Parteien (nach der Terminologie des FamFG nunmehr Beteiligten) unzulässig ist. |
Und das ist bereits seit über 30 Jahren der Fall (§ 12 Abs. 2 GKG a. F., § 48 Abs. 2 S. 1 GKG a.F., 43 Abs. 1 S. 2 FamGKG), hat also nichts mit irgendwelchen gesetzgeberischen Reformen und auch nichts mit einer wie auch immer gearteten richterlichen Rechtsfortbildung zu tun.
Obwohl das BVerfG seit 2006 allein fünf Entscheidungen des OLG Oldenburg wegen einer insoweit verfassungswidrigen willkürlichen Streitwertfestsetzung aufgehoben hat, ändert sich dort – man mag es nicht glauben – nichts. Im Gegenteil: Das OLG Oldenburg ignoriert das BVerfG nach wie vor und macht in geradezu gewohnheitsmäßiger Weise so weiter wie bisher, so dass ihm durch weiteren Beschluss des BVerfG erneut vor Augen geführt werden musste, dass seine Streitwertfestsetzung ohne Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Parteien unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist, sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und die Norm des § 48 Abs. 2 S. 1 GKG (jetzt § 43 Abs. 1 S. 2 FamGKG) in krasser Weise missverstanden und in nicht mehr nachvollziehbarer Sturheit falsch angewendet worden ist.
"Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die fachgerichtliche Wertfestsetzung verletzt das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Willkürverbot", heißt es – wieder einmal – im Tenor und in der Begründung des BVerfG.
Wie oft einem Obergericht der Vorwurf einer offensichtlich willkürlichen Rechtsprechung zu ein und demselben Rechtsproblem gemacht werden darf, bis gegebenenfalls auch über strafrechtlich relevantes Verhalten nachgedacht werden muss, mag dahingestellt bleiben – die Frage drängt sich aber auf. Vielleicht hat das BVerfG diesmal nur deshalb von deutlicherer Formulierung des Verfassungsverstoßes durch das OLG Oldenburg Abstand genommen, weil ein anderer Senat betroffen war.
Nach der Rspr. des BGH ist zwar nicht jede unrichtige Rechtsanwendung vom Tatbestand des § 339 StGB erfasst, jedenfalls aber eine "bewusste und in schwerwiegender Weise umgesetzte Entfernung von Recht und Gesetz". Dass die insoweit betroffenen Senate des OLG Oldenburg jeweils ein Eremitendasein führen, also nichts voneinander wissen oder wissen wollen und sich nicht einmal zum morgendlichen Kaffee in der Gerichtskantine begegnen, ist freilich nur schwer nachvollziehbar.
Oder reden wir etwa doch über einen Fall besonderer Manifestation der richterlichen Unabhängigkeit, die zu respektieren die Verfassung ja gerade gebietet? Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen (Art. 97 Abs. 1 GG). Könnte es also sein, dass die Unabhängigkeit eines Richters schwerer wiegt als seine Bindung an das Gesetz?
Sind die falschen Entscheidungen des OLG Oldenburg zur hier in Rede stehenden Streitwertfestsetzung eine Frage richterlichen Gewissens? Nein, doch wohl nicht ernsthaft!
Dies ist nur schwerlich vorstellbar, weil bisher schon insgesamt drei Senate beim OLG Oldenburg derselben rechtsfehlerhaften und vom BVerfG jeweils mit Willkür beschriebenen Rechtsanwendung erlegen sind. Aber selbst wenn das so wäre: Spätestens nach der zweiten Klarstellung des BVerfG zu dieser Rechtsfrage muss ein Richter zu erklären haben, aus welchen sachlichen Gründen er die Rechtsprechung unseres höchsten Gerichtes missachtet, der sogar Gesetzeskraft beikommt.
Ein Machtkampf der beteiligten Richter mit dem BVerfG zeichnet sich vielmehr ab, den zu beenden entweder Sache der Staatsanwaltschaft oder die des höchsten Gerichtes selbst wäre, etwa durch Vorlage der Akte bei der zuständigen StA mit der Bitte um weitere Veranlassung, wie dies auch Amtsrichter beim Verdacht von Straftaten in den von ihnen zu entscheidenden Verfahren gelegentlich tun.
Zu hinterfragen wäre im Übrigen noch, warum sich ausgerechnet im Zuständigkeitsbereich des OLG Oldenburg offenkundig die fehlerhaften amtsgerichtlichen Entscheidungen zur Streitwertfestsetzung in Ehesachen bei bewilligter Prozesskostenhilfe häufen. Auch einem Amtsrichter wird doch gelegentlich eine BVerfG-Entscheidung zu einem von ihm zu entscheidenden Sachverhalt bekannt werden, insbesondere, wenn seine Entscheidung aufgehoben und die Sache dann vom BVerfG an das AG zurü...