Null Toleranz
Während zurzeit in ganz Deutschland über mehr Toleranz gesprochen wird, hat das VG Bremen die Toleranz – jedenfalls im anwaltlichen Gebührenrecht – abgeschafft.
Bereits zu BRAGO-Zeiten galt es als allgemein anerkannt, dass dem Anwalt im Rahmen einer von ihm nach § 12 Abs. 1 BRAGO zu bestimmenden billigen Gebühr ein sog. "Toleranzbereich" zustehe. Hintergrund war, dass sich die "richtige" Gebühr im Einzelfall ohnehin nicht feststellen lässt, sodass nicht jede unzutreffende Bestimmung bereits als unbillig angesehen werden konnte.
In der damaligen Rechtsprechung hatte sich nach ganz einhelliger Auffassung – ebenso in der Kommentarliteratur – die Auffassung durchgesetzt, dass dem Anwalt ein Toleranzbereich von 20 % zugestanden werden müsse. Das bedeutete also, dass eine Abweichung der vom Anwalt getroffenen Bestimmung von der "zutreffenden" Gebühr um bis zu 20 % noch als billig und damit als verbindlich anzusehen war.
Mit Einführung des RVG hat sich an dem Toleranzbereich grundsätzlich nichts geändert. Aufgrund der zum Teil höheren Gebührenrahmen, insbesondere bei der Geschäftsgebühr, wurde im Gegenteil darüber diskutiert, ob der Toleranzbereich nicht zu erweitern sei. So haben einige Gerichte sogar eine Toleranz von 30 % zugesprochen. Auch mehrere Kommentare haben dies aufgegriffen. Jedenfalls blieb die ganz überwiegende Rechtsprechung dabei, dass eine Abweichung von der "richtigen" Gebühr um bis zu 20 % grundsätzlich für sich genommen noch nicht als unbillig angesehen werden könne.
Das VG Bremen hat sich jetzt von dieser Toleranzrechtsprechung verabschiedet. Es will nämlich festgestellt haben, dass Anwälte grundsätzlich eine höhere Gebühr bestimmen, die gerade noch unter der 20%-Grenze liege und damit nach der Rechtsprechung nicht als unbillig angesehen werden könne. Der Toleranzbereich werde dadurch in unbilliger Weise ausgenutzt.
Das VG Bremen führt hierzu aus: "Die erkennende Kostenkammer folgt nicht der Rechtsprechung, wonach dem Rechtsanwalt eine "Toleranzgrenze" von 20% stets zuzubilligen sei. Grund hierfür ist die seit längerem zu beobachtende Praxis einzelner Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen, auch in Fällen, in denen eindeutig nur eine Mittelgebühr in Betracht kommt oder in denen die Festsetzungspraxis des Urkundsbeamten hinsichtlich bestimmter Verfahrensarten bekannt war, eine Gebühr zu bestimmen, die jeweils knapp unterhalb der "Toleranzgrenze" von 20% liegt (vgl. dazu Beschluss des erkennenden Gerichts vom 25.6.2010, Az. S4 E 574/10)."
Übrigens kam es im Fall des VG Bremen auf alles dies gar nicht an, da die vom Anwalt getroffene Bestimmung nach Auffassung des VG Bremen bereits um mehr als 50 % von der richtigen Gebühr abwich.
Darüber, was das VG Bremen dazu veranlasst hat, unerhebliche Rechtsausführungen kundzutun, darf spekuliert werden.
Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass in dem vom VG Bremen entschiedenen Fall die Rechtsanwältin bei einem Gebührenrahmen von 20,00 bis 320,00 EUR eine wahrhaft exorbitante Verfahrensgebühr in Höhe von 94,00 EUR geltend gemacht hatte. Das VG hat 40,00 EUR festgesetzt, die doppelte Mindestgebühr, weil "ein einfacher gelagertes Verfahren als die vorliegende Untätigkeitsklage ... nicht denkbar" sei.
Wenn das alles so einfach war, fragt man sich zwangsläufig, warum die Behörde nicht in der Lage gewesen ist, den Widerspruch rechtzeitig zu bescheiden.
Norbert Schneider