RVG VV Nr. 4143

Leitsatz

Die Beiordnung des Pflichtverteidigers erstreckt sich regelmäßig auch ohne Gewährung von PKH auf die Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren.

OLG Rostock, Beschl. v. 15.6.2011 – I Ws 166/11

1 Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin wurde dem inhaftierten Beschuldigten im Ermittlungsverfahren mit Beschluss des AG als Pflichtverteidigerin beigeordnet. Nachdem der Nebenklagevertreter in der Hauptverhandlung einen auf die Zahlung von Schmerzensgeld gerichteten Adhäsionsantrag gestellt hatte, beantragte die Beschwerdeführerin gem. § 404 Abs. 5 StPO für das Adhäsionsverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Angeklagten unter ihrer Beiordnung. Bevor hierüber entschieden worden war, nahm die Verteidigerin (nur) den auf die Gewährung von PKH gerichteten Antrag zurück, erhielt jedoch ihren Beiordnungsantrag für das Adhäsionsverfahren aufrecht. Diesen wies die Kammer mit der Begründung zurück, nachdem der PKH-Antrag zurückgenommen worden sei, sei für eine Beiordnung im Hinblick auf das Adhäsionsverfahren kein Raum mehr. Die Beiordnung für das Adhäsionsverfahren sei notwendigerweise an die Bewilligung von PKH geknüpft.

Nachfolgend kam es zum Abschluss eines protokollierten Vergleichs, in dem der Angeklagte sich zur ratenweisen Zahlung von 1.975,00 EUR an die Nebenklägerin und zur Übernahme der Kosten für das Adhäsionsverfahren einschließlich des Vergleichs verpflichtete. Der Wert der Einigungsgebühr wurde von der Kammer im Einvernehmen mit den Parteien auf 2.000,00 EUR festgesetzt. Mit sofort rechtskräftig gewordenem Urteil verhängte das LG sodann gegen den Angeklagten eine bedingte Freiheitsstrafe.

Die Pflichtverteidigerin beantragte daraufhin die Festsetzung ihrer Vergütung, darunter auch eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV sowie die Einigungsgebühr gem. Nr. 1003 VV für ihre Tätigkeit im Adhäsionsverfahren. Diese Gebühren setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit der Begründung ab, eine Beiordnung der Rechtsanwältin für das Adhäsionsverfahren sei nicht erfolgt; ihre diesbezügliche Tätigkeit sei auch nicht von der Beiordnung als Pflichtverteidigerin umfasst gewesen.

Die hiergegen gerichtete Erinnerung der Verteidigerin, der von der Rechtspflegerin nicht abgeholfen wurde, wies die Strafkammer als unbegründet zurück. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Anwältin erfolgreich mit ihrer Beschwerde.

2 Aus den Gründen

Zwar ist die Beschwerdeführerin dem ehemals Angeklagten nicht gem. § 404 Abs. 5 StPO unter Gewährung von PKH für das Adhäsionsverfahren beigeordnet worden. Ihre diesbezügliche Tätigkeit war jedoch entgegen der vom LG vertretenen Auffassung von ihrer Beiordnung als Pflichtverteidigerin mitumfasst. Es ist in Rspr. und Schrifttum umstritten, ob die Verteidigerbestellung nach §§ 140 ff. StPO ohne weiteres das Adhäsionsverfahren umfasst (bejahend OLG Dresden, Beschl. v. 13.6.2007 – 1 Ws 155/06 [= AGS 2007, 404]; OLG Hamm Rpfleger 2001, 513 [= AGS 2002, 110]; OLG Köln StraFo 2005, 394 [= AGS 2005, 436]; OLG Schleswig NStZ 1998, 101 [= AGS 1998, 6]; Laufhütte, in: KK-StPO, 6. Aufl., § 140 Rn 4; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 140 Rn 5; Wohlers, in: SK-StPO, § 141 Rn 20; Julius, in: HK-StPO, 4. Aufl., § 141 Rn 15; Lüderssen/Jahn, in: LR-StPO, 26. Aufl., § 141 Rn 28; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., Nr. 4143 VV Rn 12; Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., VV 4143, 4144 Rn 5; vgl. auch OLG Hamburg, 1. Strafsenat, NStZ-RR 2006, 347, 349 für den Fall, dass ein Antrag nach § 404 Abs. 5 StPO auf gesonderte Beiordnung nicht gestellt wird oder wegen Fehlens der besonderen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht gestellt werden kann; demgegenüber verneinend OLG Bamberg NStZ-RR 2009, 114; OLG Brandenburg OLGSt StPO § 140 Nr. 24; OLG Celle NStZ-RR 2008, 190 [= AGS 2008, 229]; OLG Hamburg, 3. Strafsenat, NStZ 2010, 652; OLG Hamburg, 2. Strafsenat, OLGSt StPO § 141 Nr. 8; OLG München StV 2004, 38; OLG Jena Rpfleger 2008, 529; OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.4.2010 – 1 Ws 178/10 [= AGS 2010, 427]; OLG Saarbrücken StV 2000, 433 [= AGS 2000, 203]; OLG Stuttgart NStZ-RR 2009, 264 [= AGS 2009, 387]; OLG Zweibrücken JurBüro 2006, 643; KG RVGreport 2011, 142 unter Aufgabe der früheren abweichenden Rspr.; Hartmann, a.a.O., 4143, 4144 VV Rn 1, 7; Schmidt/Baldus, Gebühren und Kostenerstattung in Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl., Rn 258). Der BGH hat die Frage der Erstreckung der Verteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren ausdrücklich offen gelassen, dabei jedoch zum Ausdruck gebracht, dass die z.T. auf einem Vergleich mit § 397a StPO beruhende verneinende Auffassung jedenfalls mit dieser Begründung nicht greift (NJW 2001, 2486, 2487).

Der Senat hat sich bereits mit Beschl. v. 4.7.2008 – I Ws 224 u. 225/08 – u. v. 8.6.2009 – I Ws 118/09, jeweils in der Besetzung mit drei Richtern, der erstgenannten (bejahenden) Auffassung angeschlossen. Daran wird aus den dort genannten Gründen festgehalten.

Die Gegenmeinung übersieht nach Ansicht des Senats, dass in § 404 Abs. 5 StPO nur geregelt ...

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