Das OLG Koblenz darf nicht sterben!
Es gibt sicherlich eine ganze Reihe von guten und kaum zu widerlegenden Gründen, für die Existenz des gefährdeten OLG Koblenz einzutreten.
Mit der Entscheidung v. 5.9.2011 hat dieses Gericht, dessen Rspr. zum Gebührenrecht durchaus differenzierend zu beurteilen ist, einen Beweis dafür geliefert, dass an diesem OLG auf jeden Fall festzuhalten ist.
Es sind nur wenige Gerichte, die den Mut besitzen, sich mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH kritisch auseinanderzusetzen.
Man erinnere sich daran, wie willfährig die Gerichte seinerzeit die falsche Rechtsprechung des BGH zur Anrechnung der Geschäftsgebühr übernommen haben und wie man den Gesetzgeber geradezu zwang, die vom BGH vorgenommene Fehlinterpretation durch eine Klarstellung im Gesetz zu beseitigen.
Hier belässt es ein OLG nicht dabei, den Irrtum des BGH mit Nichtbeachtung zu belegen, sondern hat erfreulicherweise – wie auch erhofft – Gelegenheit gegeben, zur Korrektur zu schreiten.
Worum geht es?
In der Entscheidung v. 13.1.2011 hatte sich der BGH – zur Überraschung aller – ohne weitere Begründung von einer in Rspr. u. Lit. einhellig betriebenen Toleranzrechtsprechung abgewandt.
Der entscheidende Satz im Urteil des BGH lautete:
"Die Erhöhung der 1,3-fachen Regelgebühr auf eine 1,5-fache Gebühr ist einer rechtlichen Überprüfung entzogen. Für Rahmengebühren entspricht es allgemeiner Meinung, dass dem Rechtsanwalt bei der Festlegung der konkreten Gebühr ein Spielraum von 20 % … zusteht."
Der BGH setzte damit zunächst seinen Fehler aus der Entscheidung v. 31.10.2006 fort, wo er fälschlicherweise die Schwellengebühr als eine Art neue Mittelgebühr bezeichnet hatte.
Tatsächlich stellt sich die Schwellengebühr – und dies sieht auch das OLG Koblenz völlig richtig – als eine absolute Kappungsgrenze dar. Hier hilft auch die Toleranzgrenze eben nicht weiter.
Gelangt man bei der Beurteilung der Bewertungskriterien und der nach dem Gesetz zwingend gebotenen Beurteilung der besonderen Bewertungskriterien, Schwierigkeitsgrad und Umfang der anwaltlichen Tätigkeit zu dem Ergebnis, dass hier nur von durchschnittlichen Verhältnissen auszugehen ist, so ist es völlig gleichgültig, zu welcher Gebührenhöhe man bei den anderen Bewertungskriterien gelangen würde, sei es mit oder auch ohne Beachtung der Toleranzgrenzen.
Die jeweils ermittelte Gebühr ist zwingend auf 1,3 zu kürzen, wenn weder beim Schwierigkeitsgrad noch beim Umfang der anwaltlichen Tätigkeit zumindest leicht überdurchschnittliche Verhältnisse festgestellt werden können.
Alles andere würde die Anm. zu Nr. 2300 VV ad absurdum führen.
Insoweit entsprach es einer Art geistiger Hygiene, diese ja eigentlich anwaltsfreundliche, aber eben falsche Rspr. zu kritisieren. Man kann und darf falsche Rechtsprechung eben nicht nur dort angreifen, wo sie "anwaltsfeindlich" ist.
Erfreulicherweise geschah dies nicht nur in der Lit., sondern auch die Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern stellten schon am 2.4.2011 in Stuttgart fest, dass der Wortlaut der Anm. zu Nr. 2300 VV die Anwendung der Toleranzgrundsätze nicht zulässt.
Ohnehin war in der Diskussion vermutet worden, der BGH habe die Problematik möglicherweise gar nicht erkannt und schlicht und einfach die verlangte Gebühr von 1,5 zugesprochen, um nicht wegen einer Differenz von 0,2 Gebühren die Vorinstanz aufheben und die Sache zurückweisen zu müssen.
Es ist also ausdrücklich zu begrüßen, dass nach dem AG Halle nunmehr auch das unbedingt zu erhaltende OLG Koblenz Klartext spricht und dem BGH Gelegenheit gibt, zur gesetzeskonformen Auslegung der Anmerkung zurückzukehren.
Dies schafft die erforderliche Rechtssicherheit, auf die Gerichte, aber auch Anwälte angewiesen sind.
Herbert P. Schons