Leitsatz
- Es besteht keine Üblichkeit, dass eine Beratungsgebühr nach bürgerlichem Recht grundsätzlich mit einer 0,65-Gebühr nach dem Gegenstandswert zu berechnen ist.
- Eine Beratungsgebühr nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts muss nicht notwendigerweise geringer ausfallen als eine entsprechende Geschäftsgebühr nach dem Gegenstandswert.
AG Siegburg, Urt. v. 4.9.2015 – 105 C 34/15
1 Sachverhalt
Nach einem Verkehrsunfall ließ sich der Kläger anwaltlich beraten, ob Aussichten bestehen, eigene Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Der Anwalt führte zunächst ein erstes Beratungsgespräch durch. Hiernach forderte er beim Versicherer des Mandanten die Unfallschilderung des Gegners an. In einem zweiten Beratungstermin erklärte der Anwalt dem Kläger, dass keine Aussichten bestünden, eigene Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Zugrunde liege ein typischer Auffahrunfall, bei dem der Anscheinsbeweis gegen ihn spreche. Es seien keine Anknüpfungstatsachen vorhanden bzw. beweisbar, die diesen Anscheinsbeweis entkräften könnten. Mangels einer Gebührenvereinbarung rechnete der Anwalt für seine insgesamt über eine Stunde dauernde Beratung eine Gebühr nach § 34 Abs. 1 S. 2 RVG i.V.m. § 612 Abs. 2 BGB i.H.v. 190,00 EUR zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer ab. Der Rechtsschutzversicherer verweigerte die Zahlung und verlangte zunächst Auskunft über die Höhe des Schadens, da sich danach die Gebühr bemesse. Üblich sei hier nämlich eine 0,65-Gebühr nach dem Gegenstandswert. Das Gericht hat ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer eingeholt, das ausgehend von einem üblichen Stundensatz zwischen 150,00 und 200,00 EUR die angesetzte Gebühr als billig beurteilte. In dem Gutachten wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Höhe des Gegenstandswertes für die Bemessung der Beratungsgebühr keine Rolle spiele; schon gar nicht sei eine 0,65-Gebühr üblich; es gebe auch keinen Grundsatz, dass eine Beratungsgebühr nicht höher ausfallen dürfe als eine Geschäftsgebühr. Das AG hat der Klage daraufhin stattgegeben.
2 Aus den Gründen
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 249,90 EUR aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag.
Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger erklärt, die anfallenden Kosten für eine Beratung zu übernehmen.
Die Forderung ist auch der Höhe nach begründet. Der Ansatz der maximal zulässigen Erstberatungsgebühr i.H.v. 190,00 EUR nebst Pauschale für Post- und Telekommunikation und Mehrwertsteuer war dem Umfang der Sache, der sich auch aus den im hiesigen Verfahren vorgelegten Unterlagen ergibt, angemessen.
Mangels Vergütungsvereinbarung richtet sich die Höhe der geschuldeten Vergütung nach § 34 Abs. 1 S. 2 BGB. Danach richtet sich die Höhe der vereinbarten Vergütung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, mithin nach § 612 Abs. 2 BGB. Es gilt die übliche Vereinbarung, da eine Taxe für die geltend gemachte Beratungsgebühr nicht gegeben ist. Das RVG beinhaltet gerade keine Gebührenvorschrift mehr für die außergerichtliche Beratung (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl. 2013, § 34 Rn 57). Insoweit hatte der Anwalt nach billigem Ermessen eine angemessene Vergütung unter Rückgriff auf §§ 315, 316 BGB festzulegen (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl. 2013, § 34 Rn 70). Dieses Ermessen wurde fehlerfrei ausgeübt. Die Tatsache alleine, dass die Höchstgebühr von 190,00 EUR berechnet wurde, lässt den Rückschluss, dass ein Ermessen nicht angewandt wurde, nicht zu. Die Beratung muss auch nicht zwingend günstiger sein als die Führung eines Geschäfts, da es sich gerade nicht um ein Weniger handelt. Die entsprechende Regelung, wonach nur eine 0,65-Gebühr abgerechnet werden dürfte, ist gerade nicht gegeben. Entgegen der Ansicht der Beklagten liegen Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit im vorliegenden konkreten Einzelfall nicht im unterdurchschnittlichen Bereich. Es fanden zwei Gespräche in der Kanzlei des Anwalts statt. Zudem wurden ergänzende Informationen beim Haftpflichtversicherer des Klägers eingeholt. Auch ist ein Zeitaufwand von mindestens einer Stunde vor dem Hintergrund der konkret durchgeführten Tätigkeiten angemessen.
Die Würdigung eines Verkehrsunfalls – insbesondere die Frage, ob ein Anscheinsbeweis entkräftet werden kann – kann nicht als besonders einfach erachtet werden. Der Streitwert war ebenfalls im Rahmen der Bestimmung und des Haftungsrisikos zu berücksichtigen. Dabei wurde ermessensfehlerfrei im Hinblick auf den Schaden im Frontbereich des Fahrzeugs von einem Gegenstandswert von 2.000,00 EUR bis 3.000,00 EUR ausgegangen. Insofern ist zu berücksichtigen, dass nach § 23 Abs. 3 RVG im Zweifel sogar von einem Gegenstandswert i.H.v. 5.000,00 EUR ausgegangen werden könnte. Dies wäre gegebenenfalls anders zu bewerten, wenn es sich um einen Bagatellschaden gehandelt hätte. Dies behauptet die Beklagte jedoch gar nicht. Unter Berücksichtigung und Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Beurteilungskriterien sind die angesetzten 190,00 EUR pro Stunde nicht überzogen.
3 Hinweis der Schriftleitung
Geltend gem...