Leitsatz
Das Verfahren über den Widerruf mehrerer Strafaussetzungen zur Bewährung stellt nur eine gebührenrechtliche Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG dar.
OLG Oldenburg, Beschl. v. 20.5.2015 – 1 Ws 190/15
1 Sachverhalt
Der Beschwerdeführer war für den Verurteilten als Wahlverteidiger in Beschwerdeverfahren vor dem OLG tätig. Gegenstand der ersten entschiedenen Beschwerdeverfahren war die Versagung von Reststrafenaussetzungen zum Halbstrafentermin durch Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer des LG betreffend die Strafreste aus den Urteilen des AG Brake v. 26.7.2011 u. 10.5.2012, Gegenstand der weiteren, durch Senatsbeschluss v. 26.11.2013 entschiedenen Beschwerdeverfahren war die abermalige Versagung der Reststrafenaussetzungen zum Halbstrafenzeitpunkt bezüglich der vorgenannten Strafen bei gleichzeitiger Bewilligung der Reststrafenaussetzung dieser beider Strafen zum Zweidrittel-Zeitpunkt sowie der beiden weiteren Strafen aus den Urteilen des AG Brake v. 25.2.2010 und 22.1.2008.
Mit den Senatsbeschlüssen v. 17.9.2013 u. 26.11.2013 sind die jeweiligen Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer aufgehoben worden, und es ist jeweils ausgesprochen worden, dass die notwendigen Auslagen des Verurteilten im Beschwerdeverfahren der Staatskasse zur Last fallen.
Mit seinen Vergütungsanträgen vom 21.11.2013 u. 17.3.2014 macht der Verteidiger aus abgetretenem Recht seine Vergütung nach dem RVG geltend, wobei er für jedes einzelne Vollstreckungsverfahren, hinsichtlich dessen eine Entscheidung über eine Reststrafenaussetzung getroffen wurde, eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 4200 VV in Höhe der jeweiligen Mittelgebühr begehrt.
Mit Beschlüssen vom 5.2.2015, auf die in den Beschwerden Bezug genommen wird, ist ihm für die durch die beiden Senatsbeschlüsse erledigten Beschwerdeverfahren jeweils insgesamt nur eine Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr nach Nr. 4200 VV in der jeweils geltenden Fassung zuzüglich einer Auslagenpauschale und Umsatzsteuer bewilligt worden.
Hiergegen wendet er sich mit seinen rechtzeitigen sofortigen Beschwerden, mit denen er die Zubilligung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4200 VV für jedes einzelne Vollstreckungsverfahren weiterverfolgt.
2 Aus den Gründen
Die Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg, weil der Verteidiger in den Beschwerdeverfahren, soweit eine einheitliche Entscheidung ergangen ist, jeweils nur in einer Angelegenheit tätig geworden ist.
Auch wenn der Verurteilte hinsichtlich mehrerer verschiedener parallel vollstreckter Freiheitsstrafen beantragt hat, die Strafreste zur Bewährung auszusetzen, ändert dies nichts daran, dass es sich um dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG handelt, für die gem. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG die Gebühren nur einmal gefordert werden können. Denn auch mehrere selbstständige gerichtliche Verfahren können Teile derselben Angelegenheit sein. Zwar ist bei verschiedenen gerichtlichen Verfahren in der Regel anzunehmen, dass ein innerer Zusammenhang zwischen den Verfahrensgegenständen nicht besteht, allerdings kann nicht ausnahmslos von der Identität von Verfahren und Angelegenheit in der Weise ausgegangen werden, dass mehrere Verfahren auch zwingend mehrere Angelegenheiten darstellen. Vielmehr ist jeder Einzelfall zu prüfen. So ist bei zwei verschiedenen gerichtlichen Verfahren eine Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG zu bejahen, wenn es sich im gebührenrechtlichen Sinne um einen einheitlichen Lebensvorgang handelt, innerhalb dessen sich die anwaltliche Tätigkeit abspielt. Maßgeblich für die gebührenrechtliche Einordnung ist dementsprechend der Rahmen, innerhalb dessen die anwaltliche Tätigkeit erfolgt, wobei im Allgemeinen der dem Anwalt erteilte Auftrag(sgegenstand) entscheidend ist. Gegenstand ist wiederum das Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich auftragsgemäß die jeweilige Tätigkeit bezieht. Dementsprechend wird dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG angenommen, wenn (nur) ein Auftrag erteilt wurde, ein einheitlicher Rahmen des Tätigwerdens vorliegt und zudem ein innerer Zusammenhang besteht (OLG Köln, Beschl. v. 30.11.2010 – 2 Ws 780/10, Rn 3, juris, m.w.N. [= AGS 2011, 174]).
So liegen die Dinge hier. Der Verteidiger ist in den Beschwerdeverfahren jeweils durch einheitliche, sämtliche Vollstreckungsverfahren erfassende Schriftsätze tätig geworden, aus denen sich zudem ergibt, dass ihm jeweils nur ein Auftrag erteilt worden ist. Darüber hinaus besteht zwischen den einzelnen Vollstreckungsverfahren ein enger inhaltlicher Zusammenhang, weil § 454b Abs. 3 StPO im Falle der Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen eine gleichzeitige Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Reste aller Strafen fordert, die aufgrund einer einheitlichen Prognoseentscheidung zu treffen ist (so auch OLG Köln a.a.O., Rn 4). In welchem Maß es bei der Prognoseentscheidung nach § 57 StGB wahrscheinlich sein muss, dass der Täter nicht wieder straffällig wird, hängt von dem Gewicht der bedrohten Rechtsgüter und den Eigenheiten der Persönlichkeit des Verurteilten ab (KG, Beschl. v. 18.5.2006 – 1 AR 468 ...