Leitsatz
- Gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts über die Erinnerung gegen die Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung nach § 55 RVG ist auch in asylrechtlichen Streitigkeiten die Beschwerde statthaft. § 80 AsylG wird durch §§ 1 Abs. 3, 56 Abs. 2 RVG verdrängt.
- Wird mit einer asylrechtlichen Klage sowohl die Aufhebung eines "Dublin-Bescheides" als auch ein gerichtliches "Durchentscheiden" begehrt, beläuft sich der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit nach § 30 Abs. 1 RVG auf 5.000,00 EUR. Bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für nur eines der Begehren kann der Verfahrensbevollmächtigte nur die Hälfte der Vergütung beanspruchen, die er bei uneingeschränkter PKH-Bewilligung erhalten hätte.
OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 26.7.2016 – OVG 3 K 40.16
1 Sachverhalt
Der Erinnerungsführer wandte sich als Verfahrensbevollmächtigter eines pakistanischen Staatsangehörigen gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, mit dem dessen Asylantrag nach § 27a AsylG als unzulässig abgelehnt und gem. § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG die Abschiebung nach Ungarn angeordnet worden war. Für die auf Aufhebung des Bescheides sowie auf Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Asyl gerichtete Klage gewährte das VG nur hinsichtlich des Anfechtungs-, nicht aber hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens Prozesskostenhilfe. Der Verpflichtungsantrag sei ohne vorherige Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag unzulässig, weil das VG in den Fällen des § 27a AsylG bei einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides nicht durchentscheiden könne.
Der aus der Landeskasse dem Verfahrensbevollmächtigten zu zahlende Vorschuss wurde auf 210,69 EUR festgesetzt, weil dem Kläger bei einem Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit von insgesamt 5.000,00 EUR nur zur Hälfte Prozesskostenhilfe gewährt worden sei. Die hiergegen gerichtete Erinnerung hatte mit der Begründung, dass die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die hälftig zu erstattende Vergütung auf der Grundlage des von ihr angenommenen Gegenstandswertes zutreffend berechnet und festgesetzt habe, keinen Erfolg. Als Rechtsmittelbelehrung enthielt der angegriffene Beschluss den Hinweis auf seine Unanfechtbarkeit nach § 80 AsylG.
2 Aus den Gründen
Der Senat ist zur Entscheidung berufen, weil der als Berichterstatter zuständige Einzelrichter den Rechtsstreit gem. § 56 Abs. 2 S. 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 1 u. 2 RVG nach Anhörung der Beteiligten wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache mit Beschl. v. 21.7.2016 dem Senat übertragen hat. Die Beschwerde gegen den Beschluss des VG, mit dem die Erinnerung gegen die Festsetzung des gem. § 55 RVG aus der Landeskasse zu zahlenden Vorschusses zurückgewiesen worden ist, ist zwar statthaft, bleibt aber im Ergebnis ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde ist entgegen der Auffassung des VG nicht nach § 80 AsylG ausgeschlossen. Zwar können dieser Regelung zufolge Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach dem AsylG vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Diese Vorschrift wird hier jedoch durch § 1 Abs. 3 RVG, der durch das Zweite Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts vom 23.7.2013 (BGBl I, S. 2586) eingefügt worden ist, verdrängt. Gem. § 1 Abs. 3 RVG gehen die kostenrechtlichen Vorschriften des RVG über die Erinnerung und die Beschwerde denjenigen Verfahrensvorschriften, die für die zugrunde liegende Materie – d.h. hier die prozessualen Regelungen des AsylG – gelten, als speziellere Normen vor (vgl. auch BT-Drucks 17/11471, S. 266 und 154).
a) Das ist hier der Fall. Da gem. § 56 Abs. 2 RVG die Beschwerde gegen die gerichtliche Entscheidung über die Festsetzung der Vergütung nach § 55 RVG grundsätzlich statthaft ist, ist die vor Inkrafttreten des § 1 Abs. 3 RVG – und zum Teil weiterhin – vertretene Ansicht, der in § 80 AsylG normierte Beschwerdeausschluss erfasse auch sämtliche selbstständige und unselbstständige Nebenverfahren, in dieser Allgemeinheit nicht mehr haltbar (zum vergleichbaren Fall der Statthaftigkeit einer Beschwerde gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes nach § 33 RVG in asylrechtlichen Rechtsstreitigkeiten: Jungbauer, in: Bischof/Jungbauer/Bräuer und andere, RVG, 6. Aufl., § 30 Rn 28; Thiel, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, § 30 RVG Rn 14; Wahlen/Thiel, in: Schneider/Wolf, AnwK-RVG, 7. Aufl., § 30 Rn 50; Hansens, RVGreport 2013, S. 363 f.; anders jedoch OVG NW, Beschl. v. 15.9.2014 – 11 E 909/14.A, juris Rn 3 [= AGS 2015, 257] u. v. 16.10.2014 – 11 B 789/14.A, juris Rn 4 = NVwZ-RR 2015, 359 [= AGS 2015, 251]; Potthoff, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl., § 30 Rn 37).
b) Soweit § 11 Abs. 3 S. 2 RVG im Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit wiederum eine Ausnahme zu dem in § 1 Abs. 3 RVG normierten Vorrang der kostenrechtlichen Vorschriften vorsieht, betrifft dies die hier nicht einschlägige Festsetzung der Vergütung gem. § 11 RVG, d.h. die Vergütungsfestsetzung gegen den eigenen Auftraggeber. Demgegenüber geht es im vorliegenden Verfahren um ...