RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4, Nr. 2300

Leitsatz

  1. Der Senat sieht keinen Anlass, aufgrund der Änderungen des RVG durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz von seiner bisherigen ständigen Rspr. zur Frage der Berücksichtigung einer im Vorverfahren verdienten Geschäftsgebühr bei der Festsetzung der Verfahrensgebühr in einem inhaltlich damit zusammenhängenden gerichtlichen Eilverfahren abzurücken. Synergieeffekte bestehen auch im Verhältnis von Vorverfahren und gerichtlichem Eilverfahren. Sowohl im Widerspruchs- als auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren muss die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts vorgetragen werden.
  2. Eine fiktive Terminsgebühr fällt in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht an.
  3. Die Einigungsgebühr bemisst sich – ohne einen Ermessensspielraum – nach der Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr.

LSG Thüringen, Beschl. v. 20.7.2017 – L 6 SF 950/15 B

1 Sachverhalt

Streitig ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Verfahren vor dem SG.

Der von der Beschwerdeführerin vertretene Antragsteller hatte beim SG im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu zahlen. Ihm seien im streitigen Zeitraum lediglich geringere Leistungen bewilligt worden, allerdings keine Unterkunftskosten. Ein Anspruch auf Bewilligung der beantragten Leistungen sei überwiegend wahrscheinlich, denn er nutze die angemietete Wohnung tatsächlich. Ein Anordnungsgrund sei gegeben, denn ihm drohe eine fristlose Kündigung wegen Nichtzahlung der Miete. Die Antragsgegnerin erklärte sich daraufhin bereit, ihm vorläufig Leistungen der Grundsicherung zu zahlen; sie trage die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu 75 v.H. Das SG bewilligte dem Antragsteller Prozesskostenhilfe und die Beschwerdeführerin bei. Das Verfahren wurde sodann für erledigt erklärt. Die Beschwerdeführerin beantragte anschließend die Festsetzung folgender Vergütung für das Antragsverfahren:

 
Praxis-Beispiel
 
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV 300,00 EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV 280,00 EUR
Erledigungsgebühr, Nr. 1005 VV 300,00 EUR
Post- und Telekommunikationsentgelt, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
Zwischensumme 900,00 EUR
USt. 171,00 EUR
Summe 1.071,00 EUR

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzte mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss die der Beschwerdeführerin im Rahmen der PKH zustehende Vergütung auf 714,00 EUR fest (Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV: 300,00 EUR, Terminsgebühr Nr. 3106 VV: 280,00 EUR, Auslagenpauschale: 20,00 EUR, Umsatzsteuer Nr. 7008 VV: 114,00 EUR) fest. Eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV stehe ihr nicht zu.

Hiergegen hat die Beschwerdeführerin Erinnerung eingelegt. Die Erledigungsgebühr sei vorliegend i.H.v. 300,00 EUR entstanden. Durch die Einwirkung auf den Antragsteller, das Teilanerkenntnis anzunehmen und den Rechtsstreit vollständig für erledigt zu erklären, liege eine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung, die über die reine Begründung des Antrags hinausgehe und eine streitige Entscheidung des SG vermeide.

Der Beschwerdegegner hat die Erledigungsgebühr in Höhe der doppelten Mindestgebühr für angemessen erachtet und Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss insoweit eingelegt, als eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV i.H.v. 300,00 EUR erstattet werden solle. Nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 3 VV sei auf die Verfahrensgebühr eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV i.H.v. 150,00 EUR (1/2 von 300,00 EUR) anzurechnen, weil die Beschwerdeführerin den Antragsteller auch im Widerspruchsverfahren vertreten habe und der Verfahrensgegenstand des Widerspruchsverfahrens und des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hinsichtlich des Leistungsanspruchs derselbe sei. Die Anrechnung der Geschäftsgebühr sei im Eilverfahren grundsätzlich nicht ausgeschlossen.

Beanstandet werde weiterhin die Berücksichtigung einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV i.H.v. 280,00 EUR. Sie sei nicht entstanden, weil die Voraussetzungen der Anm. Nrn. 1 bis 3 zu Nr. 3106 VV nicht erfüllt seien. Im Verfahren nach § 86b SGG sei eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben.

Das SG hat die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung nach § 55 Abs. 1 RVG auf 559,30 EUR festgesetzt (Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV: 300,00 EUR, Erledigungsgebühr Nr. 1005 VV: 150,00 EUR, Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV: 20,00 EUR, Umsatzsteuer 89,30 EUR) und sinngemäß die weitergehende Erinnerung der Beschwerdeführerin und die Erinnerung des Beschwerdegegners zurückgewiesen.

Dagegen hat die Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt und die Festsetzung der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung unter Berücksichtigung einer Erledigungsgebühr i.H.v. 300,00 EUR begehrt. Diese sei an die Verfahrensgebühr gekoppelt und nicht eigenständig nach den Kriterien des § 14 RVG zu prüfen. Die Mittelgebühr sei nicht unbillig. Der kürzeren Verfahrensdauer stünden in der Regel die getrennte Bearbeitung und die Dringlichkeit gegenüber, so dass insoweit eine Kompensation stattfinde....

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