RVG §§ 1 Abs. 3, 30, 33; AsylVfG § 80
Leitsatz
- Eine generelle Reduzierung des Gegenstandswertes des § 30 Abs. 1 RVG bei asylrechtlichen Untätigkeitsklagen kommt nicht in Betracht.
- Die Beschwerdemöglichkeit des § 33 Abs. 2 RVG gegen die Gegenstandswertfestsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG besteht auch in asylrechtlichen Streitigkeiten.
- § 33 Abs. 2 RVG geht wegen § 1 Abs. 3 RVG dem Beschwerdeausschluss des § 80 AsylG vor.
VG Kassel, Beschl. v. 31.8.2017 – 3 K 1517/16.KS.A
1 Aus den Gründen
Nach Übertragung des Verfahrens auf die Kammer wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 33 Abs. 8 S. 2 RVG setzt das Gericht auf Antrag der Beklagten den Wert der anwaltlichen Tätigkeit gem. § 33 Abs. 1 RVG durch Beschluss fest. Die Beklagte ist dabei gem. § 33 Abs. 2 S. 2 3. Var. RVG antragsbefugt.
Der Gegenstandswert beträgt vorliegend 6.000,00 EUR. Eine von der Beklagten beantragte Halbierung über § 30 Abs. 2 RVG kommt nicht in Betracht.
Der durch das Zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz neugefasste Gebührentatbestand des § 30 RVG soll zu einer Vereinfachung der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechtslage beitragen, indem nach § 30 Abs. 1 S. 1 RVG nunmehr für alle asylrechtlichen Klageverfahren einheitlich und unabhängig vom Streitgegenstand stets 5.000,00 EUR zugrunde gelegt werden, wobei sich dieser Wert bei mehreren Klägern für jede weitere Person nach § 30 Abs. 1 S. 2 RVG um 1.000,00 EUR erhöht. Es wird insoweit grundsätzlich nicht (mehr) danach differenziert, ob ein Kläger mit seiner Klage Asyl nach Art. 16a GG, Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG, subsidiären Schutz nach § 4 AsylG bzw. nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1 AufenthG begehrt, oder ob sich die Klage gegen eine Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG oder eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG richtet (BT-Drucks 17/11471, 269; zur Entwicklung Jendrusch, NVwZ 2017, 516, 518).
Gem. § 30 Abs. 2 RVG kann das Gericht den nach § 30 Abs. 1 RVG bestimmten Wert (vorliegend 6.000,00 EUR, weil es zwei Kläger sind) erhöhen oder herabsetzen, wenn dieser nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig ist.
Eine Korrektur des Gegenstandswertes durch Herauf- oder Herabsetzung ist jedoch nur ausnahmsweise und nur im Einzelfall vorzunehmen, weil anderenfalls die mit der Änderung des § 30 Abs. 1 RVG angestrebte Vereinfachung konterkariert würde (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 26.7.2016 – OVG 3 K 40.16, juris Rn 9 [= AGS 2016, 534]; VG Lüneburg, Beschl. v. 11.7.2017 – 5 A 26/17, juris Rn 3). Eine abweichende Wertfestsetzung verlangt stets besondere Umstände des Einzelfalls, die nicht dem Streitgegenstand oder der Klageart geschuldet sind (vgl. Sommerfeldt/Sommerfeldt, in: von Seltmann (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar RVG, Stand: 1.6.2017, § 30 Rn 7; Mayer, NJW 2015, 1647, 1649; Mayer, in: Gerold/Schmidt (Hrsg.), RVG, 22. Aufl., 2015, § 30 Rn 4). § 30 Abs. 2 RVG soll für besonders einfach gelagerte und für die Betroffenen weniger bedeutsame Verfahren einerseits und für besonders umfangreiche und schwierige Verfahren andererseits eine Korrekturmöglichkeit bieten (BT-Drucks 17/11471, 269; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 6.12.2016 – 14a K 5393/16.A, juris Rn 6). Unterschiede, die sich typischerweise aus dem jeweiligen Umfang des Streitgegenstands oder aus der jeweiligen Klageart ergeben, vermögen eine Korrektur des Gegenstandswerts für sich genommen nicht zu rechtfertigen (vgl. Jungbauer, in: Bischof/Jungbauer (Hrsg.), RVG, 7. Aufl., 2016, § 30 Rn 27a).
Am Maßstab des Vorstehenden war der Gegenstandswert auf 6.000,00 EUR festzusetzen (im Ergebnis wie hier: VG Lüneburg, Beschl. v. 11.7.2017 – 5 A 26/17, juris Rn 4; VG Berlin, Beschl. v. 29.6.2017 – 8 K 720.17 A, juris [= AGS 2017, 479]; VG Stuttgart, Beschl. v. 10.3.2017 – A 9 K 5939/16, juris; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 6.12.2016 – 14a K 5393/16.A, juris; VG Wiesbaden, Beschl. v. 11.11.2016 – 5 K 528/16.WI.A, juris; VG Trier, Beschl. v. 11.12.2014 – 6 K 1512/14.TR, juris; a.A.: VG Minden, Beschl. v. 31.7.2017 – 10 K 1170/15.A, juris, VG Köln, Beschl. v. 24.4.2017 – 4 K 9487/16.A, juris [= AGS 2017, 479]; VG Hannover, Beschl. v. 1.3.2017 – 7 A 6770/16, juris; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 6.1.2017 – 15a K 5086/16.A, juris; VG München, Beschl. v. 21.12.2016 – M 17 K 16.34299, juris; VG Ansbach, Beschl. v. 26.1.2016 – AN 3 K 15.30560, juris). Die Besonderheit des dem Antrag zugrundeliegenden Klageverfahrens bestand allein darin, dass es sich um eine Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO handelte, die auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet war, den Asylantrag der Kläger zu bescheiden. Die Untätigkeitsklage in Form der Bescheidungsklage stellt für sich aber keinen Einzelfall dar (vgl. zu deren Zulässigkeit allgemein, Wittmann, JuS 2017, 842 ff. Bei der Untätigkeitsklage handelt es sich um eine gesetzlich normierte Klageart, die in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle Anwendung findet. Es handelt sich somit nicht um besondere Umstände des Einzelfalls, sondern um die Eigenheiten eines bestimmten Verfahrenstypus (vgl. VG Trier...