RVG §§ 1 Abs. 3, 30, 33; AsylVfG § 80

Leitsatz

Gegen die erstinstanzliche Festsetzung des Gegenstandswertes in gerichtlichen Verfahren nach dem AsylG ist die Beschwerde statthaft. Der Beschwerdeausschluss in § 80 AsylG wird durch die Regelung in § 1 Abs. 3 RVG verdrängt.

OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 19.9.2019 – OVG 3 L 112.19

1 Sachverhalt

Die Antragsteller begehrten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, das im Rahmen eines Dublin-Verfahrens gestellte Übernahmegesuch des griechischen Migrationsministeriums für die Antragsteller zu 1) bis 3) anzunehmen. Das VG gab dem Eilantrag statt und legte der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auf. Den Gegenstandswert setzte es auf 8.000,00 EUR fest. Zur Begründung führte es aus, es sei unbillig, den Gegenstandswert nach § 30 Abs. 1 RVG auf lediglich 4.000,00 EUR festzusetzen, weil es sich um eine Vorwegnahme der Hauptsache handele, durch die das Hauptsacheverfahren hinfällig werde. Daher und aufgrund der Schwierigkeit der maßgeblichen Rechtsfragen entspreche es der Billigkeit i.S.v. § 30 Abs. 2 RVG, die für das Klageverfahren geltenden Werte zugrunde zu legen. Die Antragsgegnerin hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt und begehrt, den Gegenstandswert auf 4.000,00 EUR festzusetzen.

2 Aus den Gründen

Der Senat ist zur Entscheidung berufen, weil der als Berichterstatter zuständige Einzelrichter den Rechtsstreit gem. § 33 Abs. 8 S. 1 und 2 RVG nach Anhörung der Beteiligten wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache dem Senat übertragen hat.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des VG, mit dem es nach § 33 Abs. 1 RVG den Gegenstandswert auf 8.000,00 EUR festgesetzt hat, ist zulässig und begründet.

1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft. Die Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes nach § 33 Abs. 1 RVG folgt aus § 33 Abs. 3 S. 1 RVG, wonach gegen den Beschluss nach § 33 Abs. 1 RVG die Antragsberechtigten Beschwerde einlegen können. Zu den Antragsberechtigten zählt nach § 33 Abs. 2 RVG auch die Antragsgegnerin als erstattungspflichtige Gegnerin.

Der Senat hält an seiner Rspr. fest, dass diese Beschwerdemöglichkeit nicht durch die Regelung in § 80 AsylG ausgeschlossen ist (Beschl. v. 26.7.2016 – OVG 3 K 40.16, juris Rn 4 f. [= AGS 2016, 534]; so auch: VGH Kassel, Beschl. v. 7.8.2019 – 4 E 1311/19.A, juris Rn 2; Mayer, in: Ders./Kroiß, RVG, 7. Aufl., § 1 Rn 8; Thiel, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., § 30 RVG Rn 14; Hansens, RVGreport 2016, 379; Jendrusch, NVwZ 2017, 516). Zwar können dieser Regelung zufolge Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach dem AsylG vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Diese Vorschrift wird hier jedoch durch § 1 Abs. 3 RVG, der durch das Zweite Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts v. 23.7.2013 (BGBl I S. 2586) eingefügt worden ist, verdrängt. Gem. § 1 Abs. 3 RVG gehen die kostenrechtlichen Vorschriften des RVG über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vor. Die Gegenansicht, die einen Beschwerdeausschluss aufgrund von § 80 AsylG annimmt, kann nicht überzeugen (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschl. v. 28.2.2017 – A 2 S 271/17; VGH Kassel, Beschl. v. 10.9.2018 – 7 E 928/18.A [= AGS 2018, 565]; OVG Münster, Beschl. v. 1.7.2019 – 13 E 441/19.A; Bergmann, in: Ders./Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 80 AsylG Rn 2).

Für eine Verdrängung von § 80 AsylG durch § 1 Abs. 3 RVG spricht bereits dessen Wortlaut. Danach gehen die speziellen Regelungen im RVG den Verfahrensvorschriften vor, die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegen. Dies kann nur so verstanden werden, dass die "für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften" sich auf sämtliche maßgeblichen Verfahrensvorschriften beziehen unabhängig davon, ob diese in den Prozessordnungen der einzelnen Gerichtszweige – wie VwGO, SGG oder FGO – oder in Fachgesetzen (wie hier in § 80 AsylG) normiert sind. Denn auch Verfahrensvorschriften, die sich aus Fachgesetzen ergeben, gelten für das zugrunde liegende Verfahren. Für die Ansicht, dass die Regelung in § 1 Abs. 3 RVG Verfahrensvorschriften in bestimmten Fachgesetzen nicht erfasst oder sich nur auf bestimmte Verfahrensvorschriften (etwa über die Zuständigkeit), nicht aber auf die Beschwerdemöglichkeit bezieht, gibt der Wortlaut, der allgemein von "Verfahrensvorschriften" spricht, nichts her.

Für dieses Verständnis spricht auch der gesetzgeberische Wille. In der Begründung des Entwurfes eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts v. 14.11.2012 (BT-Drucks 17/11471) heißt es (unter Verweis auf die gleichlautende Regelung in § 1 Abs. 6 GNotKG): "[§ 1 Abs. 3 RVG] soll die gelegentlich auftretende Frage nach dem Verhältnis der Verfahrensvorschriften des Kostenrechts zu den Verfahrensvorschriften der für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften dahin gehend klären, dass die kostenrechtlichen Vorschr...

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