RVG §§ 3, 14; SGG §§ 88, 101

Leitsatz

  1. Maßgebend für den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als wesentlicher Bestimmungsfaktor der Verfahrensgebühr ist der zeitliche Aufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hatte und den er davon objektiv auch auf die Sache verwenden musste. In diesem Zusammenhang sind Synergieeffekte gebührenmindernd zu berücksichtigen.
  2. Eine (fiktive) Terminsgebühr entsteht bei unstreitiger Erledigung einer Untätigkeitsklage durch Übersendung des begehrten Bescheides bzw. Widerspruchsbescheides nicht (Aufgabe bisheriger Rspr. des Senats).

Hessisches LSG, Beschl. v. 8.8.2019 – L 2 AS 328/18 B

1 Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus Prozesskostenhilfe festzusetzenden Rechtsanwaltsvergütung nach dem RVG.

Im Ausgangsverfahren (S 24 AS 1876/13) begehrte der Kläger des Ausgangsverfahrens vor dem SG im Wege der Untätigkeitsklage v. 27.12.2013 die Verurteilung des beklagten Jobcenters zur Bescheidung eines Überprüfungsantrags v. 7.1.2013. Dieser richtete sich gegen einen Bescheid des Beklagten v. 19.1.2012 und betraf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum v. 1.3.2012 bis 31.8.2012. Der Beschwerdeführer hatte zuvor am 2.12.2013 an die Bescheidung des Überprüfungsantrags erinnert. Streitig war in diesem Zusammenhang die Höhe der Kosten der Unterkunft und Heizung. Der Beschwerdeführer erhob zeitgleich fünf weitere Untätigkeitsklagen, in denen es ebenfalls um die Bescheidung von drei weiteren Überprüfungsanträgen v. 7.1.2013 bzw. jeweils einen v. 26.3.2013 und 28.3.2013 für Bewilligungsabschnitte aus dem Jahr 2012 (S 24 AS 1884/13, S. 24 AS 1885/13, S. 24 AS 1886/13, S. 24 AS 1887/13 und S. 24 AS 1877/13) ging. Der Beklagte teilte am 3.6.2014 mit, dass er von dem Inhalt der Überprüfungsanträge erst durch die Übersendung der Klageschrift Kenntnis erhalten habe. Er beschied alle Überprüfungsanträge durch Bescheid v. 16.6.2014 und lehnte eine Rücknahme der zur Überprüfung gestellten "Bescheide v. 19.1.2012, 19.7.2012, 24.11.2012, 16.7.2012" ab. Er teilte die Bescheidung dem SG am 6.7.2015 mit. Der Beschwerdeführer erklärte daraufhin das Klageverfahren für erledigt.

Daraufhin beantragte der dem Kläger im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Beschwerdeführer die Festsetzung folgende Gebühren aus der Staatskasse:

 
Praxis-Beispiel
 
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV 150,00 EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV 135,00 EUR
Post- und Telekommunikation, Pauschale, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
Zwischensumme netto 305,00 EUR
19% Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 57,95 EUR
Gesamtbetrag 362,95 EUR

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle kürzte die Gebührenrechnung wie folgt:

 
Praxis-Beispiel
 
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV 125,00 EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV 0,00 EUR
Post- und Telekommunikation, Pauschale, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
Zwischensumme netto 145,00 EUR
19% Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 27,55 EUR
Gesamtbetrag 172,55 EUR

Hinsichtlich der Kürzung wurde im Beschluss der Urkundsbeamtin ausgeführt, der Beschwerdeführer habe zeitgleich sechs Untätigkeitsklagen identischen Inhalts erhoben, teilweise habe doppelte Rechtshängigkeit vorgelegen. Der Aufwand, den der Beschwerdeführer betrieben habe, sei an der untersten Grenze anzusiedeln. Er habe die Verfahren nicht vorangetrieben, keine Akteneinsicht beantragt, nichts beigetragt und es hätten Synergieeffekte bestanden. Die Höhe der Verfahrensgebühr sei daher mit 125,00 EUR ausreichend bemessen. Eine Terminsgebühr sei nicht angefallen.

Der Beschwerdeführer legte Erinnerung ein. Er verwies zur Begründung darauf, dass die gleichzeitige Erhebung von sechs Untätigkeitsklagen die Reduzierung der Verfahrensgebühr wegen Synergieeffekten nicht rechtfertige, da jeweils unterschiedliche Zeiträume streitbefangen gewesen seien. Hinsichtlich der Terminsgebühr verwies er auf die Rspr. des Senats (Beschl. v. 13.1.2014 – L 2 AS 250/12 B).

Die Urkundsbeamtin half der Erinnerung nicht ab.

Anschließend legte der Beschwerdegegner ebenfalls Erinnerung gegen den Festsetzungsbeschluss ein und verwies darauf, dass es sich bei vier Ausgangsverfahren um dieselbe Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne gehandelt habe, sodass Gebühren nur einmal verlangt werden könnten. Daher sei die Gebühr für das vorliegende Verfahren auf 0,00 EUR festzusetzen; die Gebühren seien im Verfahren S 24 AS 1885/13 festzusetzen.

Das SG hat die Kostenfestsetzung der Urkundsbeamtin abgeändert und die zu erstattenden Kosten auf 142,80 EUR festgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei den vier Untätigkeitsklagen nicht um dieselbe Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinn gehandelt habe. Es habe sich um Untätigkeitsklagen gehandelt, die sich auf verschiedene Überprüfungsanträge bezogen hätten, da jeweils Leistungsbescheide für unterschiedliche Zeiträume zur Überprüfung gestellt worden seien. Jedoch wirke sich der durch die Erhebung von vier zeitgleichen Untätigkeitsklagen reduzierte Aufwand gebührenmindernd aus, sodass die Verfahrensgebühr auf 100,00 EUR festzusetzen sei. Grds. sei eine Untätigkeitsk...

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