RVG § 46 Abs. 6

Leitsatz

Die in der Ausnahmevorschrift des § 48 Abs. 6 S. 1 RVG fingierte vergütungsrechtliche Rückwirkung der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Strafverfahren greift dann nicht, wenn in dem gerichtlichen Beiordnungsbeschluss ausdrücklich eine abweichende Bestimmung der zeitlichen Geltung der Beiordnung getroffen worden ist.

LG Düsseldorf, Beschl. v. 23.10.2017 – 10 Kls 5/13

1 Sachverhalt

Gegenstand des beim LG verhandelten sehr umfangreichen Strafverfahrens gegen den Hauptangeklagten und weitere Angeklagte war – neben zahlreichen weiteren Vorwürfen – der Anklagevorwurf der schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten. Dieser war an dem Verfahren als Nebenkläger beteiligt und bediente sich spätestens seit Beginn der Hauptverhandlung am 1.7.2013 des Erinnerungsführers als Beistand. Nach etwa 170 Hauptverhandlungstagen beantragte der Erinnerungsführer mit Schriftsatz vom 24.9.2015 seine Bestellung zum Beistand des Nebenklägers gem. § 397a Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 StPO unter Hinweis darauf, dass aufgrund der Dauer des Verfahrens "eine weitere Nebenklagevertretung ab sofort nur noch mit einer Absicherung durch eine gerichtliche Beiordnung möglich" sei. Nachdem der Vorsitzende der Strafkammer in der Hauptverhandlung mündlich Bedenken gegen die begehrte Beiordnung geäußert hatte, begründete der Erinnerungsführer den Beiordnungsantrag mit Schriftsatz vom 27.9.2015 weiter und stellte ausdrücklich klar, dass eine Beiordnung "rückwirkend zum 24.9.2015 (Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei Gericht)" begehrt werde. Mit Vorsitzendenbeschluss v. 20.10.2015 bestellte das LG den Erinnerungsführer antragsgemäß mit Wirkung vom 24.9.2015 zum Beistand des Nebenklägers L.

Mit Schriftsatz v. 29.12.2016 beantragte der Erinnerungsführer, einen Vorschuss i.H.v. 71.480,71 EUR festzusetzen. Dabei setzte er neben der Grundgebühr und Verfahrensgebühr (Nr. 4100 sowie 4113 VV), Tage- und Abwesenheitsgeld (Nr. 7005 Nr. 2 und Nr. 3 VV), der Pauschale nach Nr. 7002 VV und Fahrtkosten auch Terminsgebühren an für sämtliche von ihm bis dahin wahrgenommenen Termine ab dem 1.7.2013 bis zum 22.9.2015.

Der Rechtspfleger des LG hat die Höhe der dem Erinnerungsführer zustehenden Gebühren auf 36.406,65 EUR festgesetzt. Von den in dem Kostenfestsetzungsantrag bezeichneten Gebühren abgesetzt waren dabei die vor dem 24.9.2015 angefallenen Gebühren. Der dagegen eingelegten Erinnerung des Nebenklägervertreters hat der Rechtspfleger nicht abgeholfen. Die Strafkammer hat die Erinnerung durch Einzelrichterbeschluss als unbegründet zurückgewiesen.

2 Aus den Gründen

Die zulässige Erinnerung ist unbegründet.

Dem Antragsteller stehen keine Gebühren zu, die vor dem 24.9.2015 entstanden sind.

Denn der Antragsteller ist dem Nebenkläger mit Beschluss v. 20.10.2015 ausdrücklich erst mit Wirkung vom 24.9.2015 beigeordnet worden. Damit liegt eine ausdrückliche gerichtliche Anordnung vor, nach der sich der Vergütungsanspruch bemisst, § 48 Abs. 1 RVG. Diese gerichtliche Anordnung entspricht auch dem ausdrücklichen Antrag des Antragstellers in seinem Schriftsatz v. 27.9.2015. Dort wird beantragt, die Beiordnung rückwirkend zum 24.9.2015, dem Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei Gericht, zu erklären.

Diese auch vom Antragsteller beantragte Einschränkung steht im Zusammenhang mit der Kostenerstattung. Dies folgt schon aus der zeitlich einschränkenden Formulierung des Antrags und dem folgend des Beschlusses v. 20.10.2015, die der Formulierung bei der (zeitlich eingeschränkten) Bewilligung von Prozesskostenhilfe entspricht.

Außerdem war der Beiordnungsantrag damit begründet, dass aufgrund der bereits überdurchschnittlich langen Dauer des Strafverfahrens sowie der vorhersehbaren weiteren Dauer, eine "weitere Nebenklagevertretung ab sofort nur noch mit einer Absicherung durch eine gerichtliche Beiordnung möglich" sei. Daraus wird deutlich, dass es dem Antragsteller um die "weitere" Vertretung des Nebenklägers – und nicht auch eine frühere Vertretung – sowie eine Absicherung – ersichtlich finanzieller Art – der weiteren Vertretung geht. Nach einem Hinweis des Vorsitzenden, dass er beabsichtige den Beiordnungsantrag abzulehnen und dem Nebenkläger einen anderen, bereits beigeordneten Nebenklagevertreter beizuordnen, hat der Antragsteller auch in seinem Schriftsatz vom 27.9.2015 u.a. vorgetragen, dass das Kostenargument nicht verfange. Denn der Nebenkläger habe die Staatskasse in den bisherigen Hauptverhandlungstagen nichts gekostet. Dabei setzt er sich ausdrücklich mit der Argumentation des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 12.3.2015 – II-1 Ws 41/15 = StRR 2015, 264) auseinander. Danach kann der Beiordnung einer Vielzahl von Nebenklägervertretern auch entgegenstehen, dass die Kostenhaftung der Angeklagten im Falle einer Verurteilung, die Resozialisierungschancen vermindern könne. Auch vor diesem Hintergrund ist der einschränkend gestellte Antrag auf Beiordnung mit Wirkung ab dem 24.9.2015 zu verstehen.

Aus der allgemeinen Bestimmung des § 48 Abs. 6 RVG ergibt ...

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