Eine wortreiche Begründung des AG, aber m.E. leider falsch.
1. Keine Rückwirkung der Aufhebung der Bestellung
Das AG vermengt unzulässig, die sich mit der Problematik der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger ergebenden Fragen mit den gebührenrechtlichen Auswirkungen der Aufhebung einer (rückwirkend erfolgten) Pflichtverteidigerbestellung. Zutreffend ist es, wenn man davon ausgeht, dass die Pflichtverteidigerbestellung aufgehoben werden kann, aber: Diese Aufhebung hat aber – auch materiell-rechtlich – keine Rückwirkung. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom AG angeführten Beschluss des LG Kaiserlautern. Vielmehr heißt es in dem ausdrücklich:
Zitat
Die Aufhebung dieses Beschlusses (Verfasser: gemeint ist der Bestellungsbeschluss) bewirkte das Ende der Bestellung, allerdings nur für die Zukunft und nicht rückwirkend“.
Alles andere wäre auch kaum nachvollziehbar, da sich dann ggf. nämlich auch die Frage stellen würde, was eigentlich mit zwischenzeitlich erfolgten Verteidigerhandlungen ist. Sind/wären diese rückwirkend unwirksam?
2. Gebührenrechtliche Folgen
Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung hat auch gebührenrechtlich keine Rückwirkung mit der Folge, dass ggf. entstandene Gebührenansprüche des Pflichtverteidigers mit der Aufhebung entfallen. Dafür gibt es keine gesetzliche Grundlage, insbesondere ist nicht ersichtlich, worauf das Erlöschen des anwaltlichen Gebührenanspruchs beruhen soll. Insbesondere kann das nicht auf einem nicht durch eine gesetzliche Grundlage gedeckten landgerichtlichen Beschluss beruhen, wovon das AG offenbar ausgeht. Dagegen spricht – entgegen der Auffassung des AG – der Rechtsgedanke des § 15 Abs. 4 RVG. Dagegen spricht zudem auch § 48 RVG, der für die Höhe und den Umfang des Vergütungsanspruchs des Rechtsanwalts maßgeblich ist. Damit hat dann auch die Regelung in § 48 Abs. 6 S. 1 RVG Bedeutung, die das AG völlig übersieht/negiert. Sie regelt (auch hier), dass dem Wahlanwalt, der nachträglich zum Pflichtverteidiger bestellt wird, seine vor der Bestellung liegenden Tätigkeiten honoriert werden, also auch die Akteneinsicht in den Sonderband.
I.Ü. irrt das AG, wenn es meint, dass nach der Einstellung keine Tätigkeiten des Pflichtverteidigers mehr erbracht worden sind, die honoriert werden müssten. Dieser hat dem Mandanten nämlich zumindest die Einstellungsnachricht übermitteln. Diese Tätigkeit wird von der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV erfasst. Damit bleibt es dabei: Zutreffend sind die bislang zu der Problematik vorliegenden Entscheidungen des LG Kaiserslautern (RVGreport 2019, 135 = JurBüro 2019, 245) und des AG Osnabrück (AGS 2021, 548 = RVGprof. 2022, 18), die die Frage anders als das AG Amberg entschieden haben.
3. Keine Tätigkeit zum Nulltarif
I.Ü.: Alles in allem läuft die Entscheidung des AG doch auf das von ihm verneinte "Tätigwerden zum Nulltarif" hinaus. Insoweit hilft auch nicht der Hinweis des AG auf den dem Rechtsanwalt gegenüber seinem Mandanten zustehenden Vergütungsanspruch. Denn der Anspruch des Verteidigers auf ggf. entstandene Wahlanwaltsgebühren und/oder auf die gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidigers sind, worauf man immer wieder hinweisen muss, unterschiedliche Gebührenansprüche, die nichts miteinander zu tun haben (BVerfG StraFo 2009, 274 = JurBüro 2009, 418 = NJW 2009, 2735 = RVGprof. 2009, 167 = StV 2010, 87; OLG Frankfurt am Main JurBüro 2011, 34; LG Magdeburg RVGreport 2014, 343 = StRR 2014, 269 = RVGprof. 2014, 135). Es handelt sich um eigenständige Gebührenansprüche, die nicht gegeneinander "aufgerechnet" werden dürfen. Da hilft dann auch nicht die Überlegung, dass ein Pflichtverteidiger ggf. nur beigeordnet wird, wenn der Angeschuldigte noch keinen Verteidiger hat. Denn: Im Antrag eines Wahlverteidigers auf Beiordnung als Pflichtverteidiger ist die Ankündigung der Niederlegung des Wahlmandats für den Fall der Beiordnung zu sehen (vgl. u.a. LG Aurich, Beschl. v. 5.5.2020 – 12 Qs 78/20; LG Freiburg NStZ 2021, 191; LG Magdeburg StraFo 2020, 371 = StRR 10/2020, 23 = StV 2021, 164; LG Passau, Beschl. v. 26.1.2021 – 1 Qs 6/21; AG Schwerin, Beschl. v. 25.8.2021 – 36 Gs 1449/21).
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 11/2022, S. 506 - 507