§ 465 StPO
Leitsatz
- Fehlt es an Feststellungen des Gerichts zur Sache oder sind die Feststellungen unvollständig, so ist das Revisionsgericht im Rahmen der Überprüfung einer Kosten- und Auslagenentscheidung des Tatgerichts nach Bruchteilen im allgemeinen nicht gehalten, sich die für eine Kosten- und Auslagenentscheidung nach Bruchteilen maßgeblichen Feststellungen anhand des Akteninhalts selbst zu erschließen und ggf. dann eine neue Bruchteilsentscheidung zu treffen, die sodann den konkreten Umständen des Falls Rechnung trägt.
- Zur Frage, ob es unbillig ist, den Angeklagten mit besonderen Verfahrensauslagen, die zur gesetzlich gebotenen Aufklärung der Tat unerlässlich waren, und mit besonderen notwendigen Auslagen, die durch eine sachlich gebotene Verhandlung vor dem Schwurgericht entstanden sind, zu belasten.
BGH, Beschl. v. 27.7.2022 – 1 StR 145/22
I. Sachverhalt
Das LG hatte die – im zweiten Rechtsgang – nicht revidierende Mitangeklagte N sowie die Angeklagten D und P im ersten Rechtsgang wegen versuchten Mordes verurteilt. Gegen die Mitangeklagte N hatte das LG eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, gegen die Angeklagte D eine solche von einem Jahr und neun Monaten sowie gegen den Angeklagten P eine solche von einem Jahr und sechs Monaten verhängt; die Vollstreckung der gegen die Angeklagten D und P verhängten Freiheitsstrafen hatte es zur Bewährung ausgesetzt. Auf die Revision der Mitangeklagten N hatte der BGH dieses Urteil – unter Erstreckung auf die Angeklagten D und P gem. § 357 S. 1 StPO – mit den Feststellungen aufgehoben (BGH, Urt. v. 19.8.2020 – 1 StR 474/19, NJW 2021, 326 = StraFo 2021, 80).
Im zweiten Rechtsgang hat das LG die Angeklagten D und P dann wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt und gegen die Angeklagte D eine Freiheitsstrafe von vier Monaten und gegen den Angeklagten P eine solche von zwei Monaten verhängt, deren Vollstreckung es jeweils zur Bewährung ausgesetzt hat. In der Kostenentscheidung hatte das LG u.a. bestimmt, dass die Angeklagten ihre eigenen notwendigen Auslagen selbst sowie von den übrigen Verfahrenskosten als Gesamtschuldner ein Drittel zu tragen. Dagegen haben die Angeklagten Revision eingelegt, die keinen Erfolg hatte. Die von Angeklagten ebenfalls erhobenen Kostenbeschwerden hatten hingegen teilweise Erfolg.
II. Kostenentscheidungen des BGH
1. Neufassung der Kostenentscheidungen durch den BGH
Der BGH hat die o.a. Kostenentscheidung des LG aufgehoben und hinsichtlich der Angeklagten D dahingehend neu gefasst, dass die Staatskasse die besonderen Auslagen des Verfahrens und die besonderen notwendigen Auslagen der Angeklagten, die wegen des Verdachts des (versuchten) Mordes und der fahrlässigen Körperverletzung bzw. der fahrlässigen Tötung entstanden sind, und die Angeklagte nur i.Ü. ihre notwendigen Auslagen und als Gesamtschuldner die Verfahrenskosten zu tragen haben. Hinsichtlich des Angeklagten P hat es die Kostenentscheidung dahingehend neu gefasst, dass die Staatskasse die besonderen Auslagen des Verfahrens und die besonderen notwendigen Auslagen des Angeklagten, die wegen des Verdachts des (versuchten) Mordes entstanden sind, und der Angeklagte nur i.Ü. seine notwendigen Auslagen und als Gesamtschuldner die Verfahrenskosten zu tragen haben. Zur Begründung bezieht sich der BGH auf die Ausführungen des GBA zu den Kostenbeschwerden. Der GBA hatte zu der Kostenbeschwerde der Angeklagten D ausgeführt:
2. Richtiger Ansatz des LG …
Das LG habe im Ansatz zutreffend erkannt, dass bei der Verurteilung wegen unterlassener Hilfeleistung und vorläufigen Einstellung des weiteren Verfahrens gem. §§ 154, 154a StPO aufgrund der zur Hauptverhandlung zugelassenen und den Vorwurf des Mordes durch Unterlassen in Tatmehrheit mit fahrlässiger Körperverletzung zum Gegenstand habenden Anklage ob des darin liegenden fiktiven Teilfreispruchs (vgl. BGH, Beschl. v. 11.6.1991 – 1 StR 267/91) vom gravierenden Verbrechenstatbestand mit allein dazu eingeholten mehreren Sachverständigengutachten eine Entscheidung nach § 465 Abs. 2 StPO veranlasst gewesen sei. Im Grundsatz ebenfalls nicht fehlgehend habe es zu einer Bruchteilsentscheidung nach § 464d StPO optiert. In der Sache kann die Entscheidung aber gleichwohl keinen Bestand haben.
So lasse sie bereits nicht erkennen, dass sich das LG der Regelung des § 465 Abs. 2 S. 3 StPO bewusst gewesen sei, welche eine Billigkeitsentscheidung nach § 465 Abs. 2 S. 1 StPO auch für die notwendigen Auslagen der Angeklagten zulässt. Jene Möglichkeit sei vom LG nicht erwogen worden, obgleich dazu wie bei den Verfahrenskosten Veranlassung bestanden habe. Weiter erschließe sich die konkrete Quotierung [1/3 Angeklagte D, P und N als Gesamtschuldner und 2/3 Staatskasse] nicht, weil das LG nicht näher erläutert habe, von welchen Eckwerten es bei seiner Schätzung ausgegangen sei. Allein anhand der floskelhaft anmutenden Formulierung, mit der Abänderung des Schuldspruchs vom versuchten Mord durch Unterlassen in unterlassene Hilfeleistung sei ein erheblicher Erfolg erziel...