§ 15 Abs. 2 RVG; Nr. 3311 Nr. 1 VV RVG; § 18 Alt. 3 ZVG
Leitsatz
Vertritt der Rechtsanwalt einen Gläubiger in einem Zwangsversteigerungsverfahren über mehrere Bruchteile eines Grundstücks wegen einer Forderung, für die die Miteigentümer als Gesamtschuldner haften, so handelt es sich um eine gebührenrechtliche Angelegenheit, sodass der Anwalt für das Verfahren insgesamt nur eine 0,4-Verfahrensgebühr nach Nr. 3311 Nr. 1 VV erhält.
BGH, Beschl. v. 22.9.2022 – V ZB 2/20
I. Sachverhalt
Die Gläubigerin hatte die Zwangsversteigerung in die jeweils hälftigen Miteigentumsanteile der als Gesamtschuldner haftenden beiden Schuldner an einer Eigentumswohnung eingeleitet. Hinsichtlich der Kosten hatte die Gläubigerin bezogen auf jeden der beiden Schuldner eine 0,4-Verfahrensgebühr nach Nr. 3311 Nr. 1 VV nebst Auslagen und Umsatzsteuer, insgesamt 311,30 EUR je Schuldner geltend gemacht. Das Vollstreckungsgericht hatte die Kosten insgesamt nur einmal angesetzt. Die hiergegen erhobene Beschwerde ist vom LG Tübingen (AGS 2020, 223) zurückgewiesen worden. Das LG hatte seine Entscheidung damit begründet, dass es sich um ein einheitliches Zwangsversteigerungsverfahren handele und Nr. 3311 Nr. 1 VV auf die Anzahl der Verfahren abstelle. Gebühren für weitere Gegner innerhalb eines Verfahrens kenne das RVG nicht. Die hiergegen zugelassene Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.
II. Gesonderte Verfahren
Anders als das Beschwerdegericht geht der BGH davon aus, dass es sich bei der Zwangsversteigerung von Miteigentumsanteilen zweier Bruchteilseigentümer, die für die zu vollstreckende Forderung gesamtschuldnerisch haften, nicht von vornherein um ein einziges Verfahren handelt. Bei einem im Miteigentum stehenden Grundstück sind gem. § 864 Abs. 2 ZPO nur die jeweiligen Miteigentumsanteile Gegenstand der Zwangsvollstreckung. Insoweit werden sie vollstreckungsrechtlich wie mehrere Grundstücke behandelt. Folglich handelt es sich dann, wenn der Gläubiger die Zwangsvollstreckung zweier Miteigentumsanteile beantragt, zunächst um zwei Verfahren, auch wenn insoweit ein einheitlicher Antrag gestellt wird. Dass das Vollstreckungsgericht in der Regel für einen solchen Antrag nur eine Akte anlegt und nur ein Aktenzeichen vergibt, hat seinen Grund in der Aktenordnung, die aber für die Gebühren unerheblich ist. Zwar sieht das ZVG in bestimmten Fällen eine Verbindung mehrerer Zwangsversteigerungsverfahren vor. Dies führt aber nicht dazu, dass von Anfang an verfahrens- und gebührenrechtlich nur ein Verfahren vorliegt. Vielmehr werden zwei getrennte Verfahren dann zu einem einzigen Verfahren verbunden. Die zuvor getrennt entstandenen Gebühren bleiben in einem solchen Fall aber bestehen.
III. Nur eine Angelegenheit
Die Entscheidung des LG erweist sich aber aus einem anderen Grunde als zutreffend. Unabhängig von der Anzahl der Verfahren handelt es sich bei der Vertretung eines Gläubigers in einem Zwangsversteigerungsverfahren über mehrere Bruchteile eines Grundstücks wegen einer Forderung, für die die Miteigentümer als Gesamtschuldner haften, grds. Nur um eine einzige Angelegenheit, sodass die Verfahrensgebühr der Nr. 3311 Nr. 1 VV gem. § 15 Abs. 2 RVG auch nur einmal entstehen kann. Nach dieser Vorschrift kann der Anwalt in derselben Angelegenheit die Gebühren nur einmal fordern. Nach der Rspr. des BGH liegt bei mehreren weisungsgemäß erbrachten anwaltliche Leistungen nur eine Angelegenheit vor, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann. Dieselbe Angelegenheit kann mehrere Gegenstände umfassen. Das Vorliegen derselben Angelegenheit schließt es ferner nicht aus, wenn der Rechtsanwalt zur Wahrnehmung der Rechte des Auftragsgebers verschiedene, in ihren Voraussetzungen voneinander abweichende Anspruchsgrundlagen zu prüfen oder mehrere getrennte Prüfungsaufgaben zu erfüllen hat. Denn unter einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne ist das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Mandanten besorgen soll. Für einen einheitlichen Rahmen reicht es grds. Aus, wenn die verschiedenen Gegenstände in dem Sinn einheitlich bearbeitet werden können, dass sie verfahrensrechtlich zusammengefasst oder in einem einheitlichen Vorgehen geltend gemacht werden können (BGH RVGreport 2019, 414; 2016 316; NJW 2010, 3035). Nach diesen Kriterien liegt nur eine einzige Angelegenheit vor, wenn der Rechtsanwalt den Gläubiger in einem Zwangsversteigerungsverfahren über mehrere Bruchteile eines Grundstücks wegen einer Forderung vertritt, für die die Miteigentümer als Gesamtschuldner haften. Zwar begründet bei anderen Vollstreckungsarten als der Zwangsversteigerung die Tätigkeit des Rechtsanwalts bei einer gegen mehrere (Gesamt-)Schuldner gerichteten Vollstreckung trotz einheitlichen Auftrags und Verfahrens grds. Mehrere Angelegenheiten i.S.d. § 18 RVG. Für das Zwangsversteigerungsverfahren gilt dies jedoch nicht gleichermaßen. Der Gesetzgeber hat die Gebühren für die ...