Die Entscheidung ist m.E. zumindest hinsichtlich der Ausführungen des LG zur Billigkeit (oben III.) falsch, Bedenken kann man auch wegen des (angeblich) fortbestehenden hinreichenden Tatverdachts haben.
1. Zum hinreichenden Tatverdacht kann man m.E. schon Bedenken haben, ob die von obergerichtlichen Rspr. geforderte "Schuldspruchreife" (vgl. dazu Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 779 ff. m.w.N.) vorgelegen hat. Denn mehr als das vom Vorfall gefertigte Lichtbild hat zur "Überführung" des Betroffenen nicht vorlegen (vgl. auch noch jüngst LG Trier, Beschl. v. 30.5.2023 – 1 Qs 24/23, AGS 2023, 364; AG Büdingen, Beschl. v. 30.5.2023 – 60 OWi 48/23, AGS 2023, 362). Hier scheint dann doch das "Regle-Ausnahme-Verhältnis" verkannt worden zu sein.
2. Falsch ist m.E. die Entscheidung aber auf jeden Fall hinsichtlich der "Verjährungsfalle". Das LG argumentiert hier widersprüchlich. Denn einerseits geht es davon aus, dass sich das "Verhalten des Verteidigers noch im Rahmen einer zulässigen Verteidigung bewegt haben soll(te)", andererseits nimmt es aber Rechtmissbrauch an, weil der Verteidiger eine "Verjährungsfalle" aufgebaut habe. Das ist nicht nachvollziehbar. Denn "Rechtsmissbrauch" liegt – entgegen der Auffassung des LG – nicht vor. Ich habe bereits in der Anmerkung zum AG Freiburg, Beschl. v. 10.5.2023 – 76 OWi 48/23 (AGS 2023, 452) darauf hingewiesen, dass der Verteidiger nicht verpflichtet ist, den Eintritt der Verfolgungsverjährung zu verhindern, sondern er grds. alles tun darf, was zu einem für seinen Mandanten günstigen Ergebnis führt (so auch LG Freiburg im das AG Freiburg aufhebenden Beschl. v. 21.8.2023 – 16 Qs 30/23, AGS 2023, 453). Und dazu gehört auch, dass eben eine Vollmacht nicht vorgelegt wird, weil sie nicht vorgelegt werden muss (zur Vollmacht Burhoff, a.a.O., Rn 5026 ff.). Wenn dann die Verwaltungsbehörde trotz nicht geklärter Vollmachtsfragen dann dennoch beim Verteidiger zustellt, ist das "Dummheit" der Verwaltungsbehörde und kein Rechtsmissbrauch des Verteidigers, der dann mit der Versagung der Auslagenerstattung zu Lasten des Betroffenen sanktioniert wird. Wobei sich dann noch zusätzlich die Frage stellt, inwieweit dieses (angebliche) Fehlverhalten des Verteidigers überhaupt dem Betroffenen zugerechnet werden kann. Denn es handelt sich bei dem Anspruch um einen Auslagenerstattungsanspruch des Betroffenen, nicht um einen des Verteidigers. Aber das hat man beim LG dann lieber doch übersehen.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 11/2023, S. 507 - 508