Nr. 4142 VV RVG
Leitsatz
- Nach der Neuregelung der §§ 73 ff. StGB n.F. kommt es für die Entstehung der Nr. 4142 VV auf den Strafcharakter der (Einziehungs-)Maßnahme nicht mehr an.
- Die Gebühr Nr. 4142 VV ist wegen der Beratung des Angeklagten entstanden, wenn im Zeitpunkt der Beratung eine Einziehung "in Betracht kam". Hiervon ist immer dann auszugehen, wenn aufgrund der Aktenlage mit einem Einziehungsantrag in der Hauptverhandlung zu rechnen war oder weil in der Anklage die Einziehung beantragt worden ist. Für die Bewertung der Notwendigkeit einer betreffend einer Einziehung gerichteten Beratung kommt es nicht darauf an, ob die Einziehung in der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft nicht beantragt wurde, die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen wurde und das Gericht den Angeklagten zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen hat, dass er seine Verteidigung darauf einzurichten habe, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Betracht komme.
LG Hagen, Beschl. v. 31.5.2023 – 44 Qs 26/23
I. Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft hat dem früheren Angeklagten vorgeworfen, in der Zeit von November 2014 bis Sommer 2015 in 88 Fällen gemeinschaftlich mit einem Mitangeklagten eine Untreue begangen zu haben. Der Verteidiger des Angeklagten legitimierte sich mit Schriftsatz vom 2.4.2019. Mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft wurden das Verfahren gegen den Angeklagten am 17.5.2022 durch Beschluss des AG nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt, die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Landeskasse auferlegt.
Mit seinem Kostenfestsetzungsantrag hat der Verteidiger u.a. auch die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV geltend gemacht. Dazu hate der vorgetragen, das Risiko eines etwaig anzuordnenden Wertersatzes i.H.v. 22.648,79 EUR im Falle der Verurteilung wegen mittäterschaftlicher gewerbsmäßiger Untreue in 88 Fällen sei mehrfach im Rahmen der Erörterung der Verteidigungsstrategie Gegenstand der Besprechung mit dem Angeklagten gewesen. Das AG hat die Gebühr festgesetzt. Das hat das AG damit begründet, dass die Beratung geboten gewesen sei, da die Einziehung im Verfahren naheliegend gewesen sei. Dagegen hat der Bezirksrevisor Rechtsmittel eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Gebühr sei nicht erstattungsfähig, da die Tätigkeit ausweislich der Verfahrensakten nicht notwendig i.S.v. § 464a StPO gewesen seien, da zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens eine Einziehung i.S.d. Nr. 4142 VV im Raume gestanden habe. I.Ü. sei ein Wert für das Einziehungsverfahren nicht festgesetzt worden. Das Rechtsmittel hatte beim LG keinen Erfolg.
II. Anwendbares Recht
Das LG nimmt zunächst zu der Frage Stellung, welches Recht der Vermögensabschöpfung anzuwenden. Nach Auffassung des LG ist das neue Recht der Vermögensabschöpfung anzuwenden, sodass es auf die Frage des Strafcharakters der Maßnahme für die Anwendung der Nr. 4142 VV nicht mehr ankomme. Unter Geltung der §§ 73 ff. StGB n.F. entspreche es der (derzeit) h.M., dass es auf den Strafcharakter der (Einziehungs-)Maßnahme für die Gebührenentstehung nicht mehr ankomme, vielmehr solle die Gebühr für alle Maßnahmen nach §§ 73 ff. StGB n.F. anfallen können (so insbesondere Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 26. Aufl., 2023, RVG VV 4142 Rn 6 m.w.N. aus der Rspr.; Klüsener, JurBüro 2018, 169, 170). Schon der Wortlaut der Nr. 4142 VV spricht für diese Rechtsauffassung, da das neue Recht einheitlich die in Betracht kommenden Maßnahmen als "Einziehung" bezeichnet. Sinn und Zweck der Neuregelung sprechen ebenso dafür, dass der sachliche Anwendungsbereich der Gebührenvorschrift auch bei einer Maßnahme nach § 73c StGB n.F. eröffnet ist. Die Einziehungsentscheidung wird nach neuem Recht bereits endgültig zu Lasten des Einziehungsbetroffenen im Strafverfahren getroffen. Es gehe in dem nachträglichen Verfahren nur noch darum, ob die eingezogenen Vermögenswerte dem Staat anfallen oder nach dem in §§ 459h ff. StPO geregelten Verfahren an den Verletzten zurück. übertragen werden (vgl. hierzu LK-StGB/Lohse, 13. Aufl., 2020, Vorbem. zu §§ 73–76b Rn 27); Die Tätigkeit des Rechtsanwalts betreffe damit bereits im Strafverfahren eine auf den endgültigen Verlust bei dem Einziehungsbetroffenen gerichtete Maßnahme (zutreffend LG Berlin, Beschl. v 16.1.2018 – 501 Qs 127/17, RVGreport 2018, 178; LG Cottbus, Beschl. v. 22.1.2018 – 22 Wi Qs 16/17; LG Aachen, Beschl. v. 1.4.2021 – 60 Qs 7/21; AG Frankfurt, Beschl. v. 29.6.2020 – 911 Ls-5163 Js 232283/19). Damit fehlt es nach neuem Recht an einem "Nachfolgeverfahren", in dem der Rechtsanwalt die Möglichkeit hat, für die Rechtsvertretung des Mandanten Gebühren zu verdienen (zutreffend KG, Beschl. v. 6.3.2019 – 1 Ws 31/18, RVGreport 2019, 219).
III. Maßgebliche Tätigkeiten
Unter Geltung der §§ 73 ff. StGB n.F. sei weiter umstritten, welche anwaltliche Tätigkeit zum Anfall der Gebührenvorschrift der Nr. 4142 VV führe. Nach der (zutreffenden) ganz h.M. genüge für die Gebührenentstehung jede Tätigkeit des Rechtsanwalts, die dieser im Zusammenhang mit der Einziehung erbringt. Danach werde die Gebühr ...