§§ 137, 467 StPO
Leitsatz
- Der Verteidiger ist im Falle des Todes des Angeklagten weiterhin zur Einlegung von Rechtsmitteln befugt. Das gilt auch im Fall der Pflichtverteidigung
- Zur Auslagenerstattung im Fall der Einstellung des Verfahrens wegen Todes des Angeklagten.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.9.2023 – 1 Ws 96/23
I. Sachverhalt
Das AG hat den Angeklagten verurteilt. Zu den Tatvorwürfen hatte sich der Angeklagte teilweise geständig eingelassen. Gegen dieses Urteil legte der bis dahin unverteidigte Angeklagte fristgerecht Berufung ein. Nach Ladung des Angeklagten durch das LG meldete sich ein Rechtsanwalt als Verteidiger, beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 2 StPO und gab an, dass der Angeklagte an einer Depression sowie einer nicht näher bezeichneten Persönlichkeitsstörung leide. Zudem teilte der Verteidiger telefonisch mit, dass sich der Angeklagte in einem Klinikum befände und bei ihm eine schizophrene Erkrankung wohl diagnostiziert werden würde. Es stelle sich möglicherweise die Frage der verminderten Schuldfähigkeit. Das LG hat den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 2 StPO beigeordnet.
Der Rechtsanwalt beantragte sodann, den terminierten Hauptverhandlungstermin aufzuheben und das Verfahren nach § 153a StPO einzustellen. Es bestünden Zweifel an der Verhandlungs- und möglicherweise der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit. Ein ärztliches Attest, ausgestellt durch das Klinikum, zur Verhandlungsunfähigkeit wurde beigefügt. Eine Diagnose beinhaltete die ärztliche Bescheinigung nicht. Das LG hat dann Begutachtung des Angeklagten auf seine Verhandlungs- und Reisefähigkeit in Auftrag gegeben.
Nachdem der Angeklagte im Anschluss daran verstorben war, stellt das LG das Verfahren auf Kosten der Landeskasse gem. § 206a StPO ein. Es hat ausdrücklich von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten auf die Landeskasse abgesehen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Pflichtverteidigers hatte keinen Erfolg.
II. Rechtsmittelbefugnis
Die Frage, ob der Verteidiger im Falle des Todes des Angeklagten weiterhin zur Einlegung von Rechtsmitteln befugt sei, werde in der obergerichtlichen Rspr. inzwischen überwiegend bejaht (vgl. KG NStZ-RR 2008, 295; OLG Brandenburg, Beschl. v. 3.5.2011 – 2 Ws 1/11; OLG Celle NJW 2002, 3720; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 246; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2003, 286; OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.3.2010 – 1 Ws 113/10; Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 66. Aufl., 2023, Vor § 137 Rn 7). Zur Begründung werde vor allem angeführt, dass zwischen dem Verteidiger und dem Mandanten ein Geschäftsbesorgungsvertrag i.S.d. § 675 BGB bestehe. Auf diesen finde § 672 BGB, wonach der Auftrag im Zweifel nicht durch den Tod des Auftraggebers endet, entsprechende Anwendung. Dasselbe gilt – wie hier – im Fall der Pflichtverteidigung (vgl. KG StraFo 2008, 90; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2003, 296; a.A. OLG Hamburg NStZ-RR 2008, 160). Die Pflichtverteidigerbestellung ende im Erkenntnisverfahren grds. mit dessen rechtskräftigem Abschluss (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 143 Rn 1; KK-Willnow, StPO 9. Aufl., 2023, § 143 Rn 1, jeweils m.w.N.). Durch den Tod des Angeklagten werde das Verfahren nicht ohne Weiteres beendet. Es bedürfe dazu vielmehr einer förmlichen Einstellung nach § 206a StPO oder – in der Hauptverhandlung – nach § 260 Abs. 3 StPO (vgl. BGHSt 45, 108). Mit dieser Entscheidung sei zugleich gem. § 464 StPO auch darüber zu befinden, wer die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des (verstorbenen) Angeklagten zu tragen habe. Insoweit bleibe das Verfahren auch nach dem Tod des Angeklagten anhängig (vgl. BGH, a.a.O.). Ebenso wie die Einstellung selbst unterlägen auch die Nebenentscheidungen der Anfechtung (§§ 206 Abs. 2, 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 StPO). Erst mit ihrer Rechtskraft sei das Verfahren endgültig abgeschlossen. Der Pflichtverteidiger müsse daher – wie die Staatsanwaltschaft – befugt sein, auch nach dem Tod des Angeklagten auf eine gesetzmäßige Kosten- und Auslagenentscheidungen hinzuwirken und diese erforderlichenfalls durch das Beschwerdegericht überprüfen zu lassen (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 14.11.2007 – 1 AR 447/05 – 1 Ws 235/07; OLG Karlsruhe, a.a.O.).
III. Überbürdung der notwendigen Auslagen auf die Landeskasse
Die sofortige Beschwerde sei jedoch unbegründet. Das LG habe im Ergebnis zu Recht gem. § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des verstorbenen Angeklagten auf die Landeskasse abgesehen. Wann die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind, ist in der Rspr. umstritten (vgl. dazu OLG Brandenburg, a.a.O.). Die Frage könne jedoch offen gelassen werden, da auch nach der engen Auffassung, welche die Durchführung der Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife verlangt, der Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet sei. Das AG sei hier nach durchgeführter Hauptverhandlung bereits erstinstanzlich zu einem Schuldspruch des Angeklagten gekommen.
Im Falle der Fortsetzung des Berufungsverfahrens hätte der frühere Angeklagte damit rechnen müssen, dass sein Rechtsmittel verworfen wo...