Nr. 1008 VV RVG
Leitsatz
Vertritt ein Rechtsanwalt in einem erstinstanzlichen Verfahren nur einen Auftraggeber und in der nachfolgenden Berufungsinstanz nach dessen Tod dessen Erben, so erhöht sich nur die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren, nicht aber auch die Verfahrensgebühr für die erste Instanz.
OLG Hamburg, Beschl. v. 6.4.2024 – 4 W 32/24
I. Sachverhalt
Die Prozessbevollmächtigte hatte in der ersten Instanz zunächst den ursprünglichen Kläger vertreten und für diesen Berufung eingelegt. Nachdem dieser während des Berufungsverfahrens verstarb, führte die Prozessbevollmächtigte das Berufungsverfahren für dessen drei Erben als neue Kläger fort. Nach Abschluss des Verfahrens hat die Anwältin für die Kläger sowohl für das Berufungsverfahren als auch für die erste Instanz eine gem. Nr. 1008 VV um 0,9 erhöhte Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV zur Festsetzung angemeldet, weil eine Gebührenerhöhung auch beim sukzessiven Vertreten einer Auftraggebermehrheit erfolgen müsse. Das LG hat für die erste Instanz nur eine einfache 1,3-Verfahrensgebühr festgesetzt. Der dagegen erhobenen sofortige Beschwerde hat das LG nicht abgeholfen. Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Gebührenerhöhung im Berufungsverfahren
Im Berufungsverfahren ist unstreitig durch den Eintritt des Erben eine Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV von 1,6 auf 2,5 angefallen.
III. Keine Gebührenerhöhung in erster Instanz
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das LG beim Kostenausgleich nach §§ 103, 104, 106 ZPO allerdings die erstinstanzliche Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV nicht nach Nr. 1008 VV erhöht festgesetzt. Denn durch die Tätigkeit ihrer Prozessbevollmächtigten in der ersten Instanz ist keine solche erhöhte Gebühr entstanden. Voraussetzung für die Erhöhung nach Nr. 1008 VV ist, dass mehrere Personen Auftraggeber in derselben Angelegenheit sind. In der Angelegenheit "streitiges Verfahren im ersten Rechtszug" i.S.d. Nrn. 3100 ff. VV waren aber nicht mehrere Personen Auftraggeber, auch nicht sukzessive, sondern nur der ursprüngliche Kläger. Das erstinstanzliche Verfahren und das Berufungsverfahren sind unterschiedliche Angelegenheiten. Die Gebührenerhöhung tritt aber nur ein, wenn und soweit in der jeweiligen Angelegenheit weitere Auftraggeber vertreten werden. Das war hier nicht der Fall. Der Hinweis der Beschwerdeführer auf ein etwaiges erhöhtes Haftungsrisiko gebietet keine über den Wortlaut hinausgehende, analoge Anwendung von Nr. 1008 VV. Dies folgt schon daraus, dass bei Kostenvorschriften stets eine streng am Wortlaut orientierte Auslegung geboten ist. Denn das Kostenfestsetzungsverfahren ist auf eine formale Prüfung der Kostentatbestände und auf die Klärung einfacher Fragen des Kostenrechts zugeschnitten. Nur dies führt in den formalisierten, auf vereinfachte Prüfung zugeschnittenen Masseverfahren zu einer praktikablen Handhabung und verlässlichen Ergebnissen.
IV. Bedeutung für die Praxis
Die Frage der Erhöhung einer Geschäfts- oder Verfahrensgebühr wegen mehrerer Auftraggeber ist für jede Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG gesondert zu stellen und zu beantworten.
So kann es vorkommen, dass in einer Angelegenheit nur ein Auftraggeber vorhanden ist, in einer früheren oder nachfolgenden Angelegenheit dagegen mehrere. Solche Fälle kommen etwa vor, wenn zunächst mehrere Auftraggeber den Auftrag erteilen, sich aber einzelne Auftraggeber der nächsten Angelegenheit, zum Beispiel einer Berufung, nicht mehr anschließen.
Der umgekehrte Fall tritt häufig dann auf, wenn – wie hier – der Auftraggeber während einer Angelegenheit verstirbt und das Mandat nunmehr mit seinen Erben fortgesetzt wird. Dabei erfordert es keinen ausdrücklichen Auftrag. Vielmehr setzt sich das Mandat automatisch mit den Erben fort. Insoweit ist zu beachten, dass bei der Frage der Berechnung der Gebührenerhöhung nicht nur die Erben zu zählen sind, sondern der Erblasser mitgerechnet wird. Daher war im zugrundeliegenden Fall für das Berufungsverfahren zu Recht eine Erhöhung um 0,9 angesetzt worden, da der Anwalt im Laufe des Verfahrens vier Auftraggeber vertreten hat, nämlich den Erblasser und seine drei Erben.
S. zu Einzelheiten und zur Berechnung den Beitrag in AGS 2024, 485, in diesem Heft.
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen
AGS 11/2024, S. 497 - 498