§ 14 RVG; Nrn. 5115, 7006 VV RVG
Leitsatz
- Bei durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeiten können im Regelfall nur unter den Mittelgebühren liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden.
- Für das Entstehen der Gebühr Nr. 5115 VV ist es nicht ausreichend, wenn das Verfahren ausschließlich von Amts wegen eingestellt wird.
- Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Privatgutachtens.
LG Münster, Beschl. v. 14.6.2024 – 12 Qs 16/24
I. Sachverhalt
Dem Betroffenen ist im Bußgeldverfahren Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften zur Last gelegt worden. Gegen ihn wurde eine Geldbuße von 115,00 EUR festgesetzt. Gegen den Bußgeldbescheid legte der Betroffene Einspruch ein. Die Bußgeldbehörde übersandte den Vorgang sodann an die Staatsanwaltschaft zum Zwecke der Weiterleitung an das AG Warendorf zur Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch und zugleich gem. § 69 OWiG. Der Vorgang ging am 3.8.2023 bei der Staatsanwaltschaft ein. Mit Verfügung vom 11.10.2023 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren unter Hinweis auf die zwischenzeitlich eingetretene Verfolgungsverjährung ein. Nach einem Kostenantrag des Verteidigers legte die Staatsanwaltschaft den Vorgang dem AG unter Hinweis darauf vor, dass die Einstellung nicht möglich gewesen sei. Durch Beschl. v. 15.12.2023 stellte das AG dann das Verfahren gem. § 206a StPO unter Hinweis auf die eingetretene Verfolgungsverjährung auf Kosten der Staatskasse ein und erlegte die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auf.
Der Verteidiger hat Kostenfestsetzung i.H.v. 2.370,92 EUR beantragt. Er hat u.a. auch die Festsetzung einer Verfahrensgebühr gem. Nr. 5109 VV und einer zusätzlichen Verfahrensgebühr Nrn. 5115, 5109 VV, jeweils i.H.d. Mittelgebühr i.H.v. 176,00 EUR beantragt. Zudem hat er u.a. Erstattung sonstiger Auslagen gem. Nr. 7006 VV, und zwar Sachverständigenkosten für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens betreffend das Messverfahren geltend gemacht. Die Rechtspflegerin hat die geltend gemachten Kosten nur zum Teil festgesetzt, und zwar nur i.H.v. 474,09 EUR, nämlich nur die Verfahrensgebühr Nr. 5109 i.H.v. lediglich 33,00 EUR. Die Festsetzung der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nrn. 5115, 5109 VV und der Sachverständigenkosten hat sie hingegen insgesamt abgelehnt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Betroffenen hatte überwiegend keinen Erfolg.
II. Verfahrensgebühr gemäß Nr. 5109 VV
Auch das LG geht davon aus, dass die Verfahrensgebühr lediglich i.H.v. 33,00 EUR entstanden ist. Bei einer Rahmengebühr bestimme gem. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Zu Unrecht mache der Verteidiger zur Begründung seines Antrags, dass bei allen abzurechenden Gebühren mindestens von der Mittelgebühr auszugehen sei. Diese Auffassung widerspricht nach Auffassung des LG dem Gesetz und finde auch in den von dem Verteidiger zitierten Entscheidungen keine Stütze.
Allerdings sei gem. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG die von dem Rechtsanwalt getroffene Gebührenbestimmung für die erstattungspflichtige Staatskasse nicht verbindlich, wenn sie unbillig sei. In der Regel werden Abweichungen von bis zu 20 % von der angemessenen Gebühr nicht als unbillig angesehen (vgl. u.a. OLG Hamm, Beschl. v. 24.7.2014 – III-1 Ws 305/14, RVGreport 2015, 29; LG Münster, Beschl. v. 19.4.2021 – 12 Qs 9/21).
Die anwaltliche Gebührenbestimmung war hier aber nach Auffassung des LG Münster unbillig: Es habe sich bei dem Fall um eine einfache Bußgeldangelegenheit des Tagesgeschäfts mit einem eher unterdurchschnittlichen Umfang und ohne besondere Schwierigkeiten gehandelt. Sie sei für den Betroffenen schon angesichts der Bußgeldhöhe – auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass bei rechtskräftiger Verurteilung hiermit die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister einhergegangen wäre – von untergeordneter Bedeutung. Dass ihm konkret etwa ein Fahrverbot gedroht hätte, lasse sich dem Verteidigervorbringen nicht entnehmen. Ungeachtet dessen seien durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeiten mit einfachen Sach- und Rechtsfragen, niedrigen Geldbußen und wenigen Punkten im Fahreignungsregister grds. als unterdurchschnittliche Bußgeldsachen anzusehen (vgl. etwa LG Dresden, Beschl. v. 14.9.2023 – 5 Qs 56/23, AGS 2023, 496 = NZV 2024, 403 m.w.N.). Bei derartigen Ordnungswidrigkeitenverfahren können daher nach den Ausführungen des LG Münster im Regelfall nur unter den Mittelgebühren liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden (LG Koblenz, Beschl. v. 22.8.2023 – 6 Qs 38/23, AGS 2024, 17). Hinzu komme als wesentlicher weiterer Aspekt im hiesigen Verfahren die Besonderheit, dass der Verteidiger im gerichtlichen Verfahren tatsächlich keine weitere Tätigkeit mehr entfaltet habe. Außerdem sei klar ersichtlich gewesen sei, dass aufgrund der ...