GKG §§ 43 Abs. 1, 48 ZPO § 4 Abs. 1 S. 2
Leitsatz
Als Schadensersatz geltend gemachte anderweitig entgangene Anlagezinsen nach Wertpapieranlage aufgrund fehlerhafter Anlageberatung stellen keine Zinsen, jedenfalls aber keine Nebenforderung i.S.d. §§ 4 Abs. 1 S. 2 ZPO, 43 Abs. 1 GKG dar; sie sind als eigenständige Schadenspositionen dem übrigen Streitwert hinzuzurechnen.
OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 10.6.2011 – 1 W 32/11
1 Sachverhalt
Die Kläger begehrten von den Beklagten Schadensersatz in Gestalt der Rückabwicklung einer Reihe von Wertpapiertransaktionen wegen fehlerhafter Anlageberatung. Zusätzlich machten sie einen Betrag in Höhe 19.883,93 EUR als entgangenen Gewinn geltend unter dem Gesichtspunkt, dass ihnen das im Rahmen dieser Wertpapierkäufe aufgewendete Kapital nicht für eine anderweitige Geldanlage – jedenfalls mit einem Mindestzinssatz – zur Verfügung gestanden habe. Das LG hat die Klage abgewiesen, da die Beklagten ihre Beratungspflicht nicht verletzt hätten; das Urteil ist rechtskräftig.
Das LG hat den Streitwert für den vorliegenden Rechtsstreit auf 213.975,20 festgesetzt und dabei für den genannten Klageantrag wegen des entgangenen Gewinns keinen eigenständigen Wert angesetzt. Hiergegen wendet sich der Bevollmächtigte der Beklagten ausdrücklich aus eigenem Recht mit dem Ziel einer um 19.883,93 EUR höheren Festsetzung des Streitwerts. Er ist der Auffassung, der Betrag der entgangenen Anlagezinsen müsse dem Streitwert hinzugerechnet werden.
Die Beschwerde hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen
1. Die Beschwerde hat Erfolg, weil die als entgangen geltend gemachten anderweitigen Anlagezinsen nicht als Nebenforderung i.S.d. in der Regelung identischen Vorschriften des § 43 Abs. 1 GKG und des § 4 Abs. 1, 2. Hs. ZPO anzusehen sind. Vielmehr machen die Kläger insoweit eine eigenständige Schadensposition geltend.
Der Senat hält auch in Kenntnis der abweichenden Rspr. des 19. Zivilsenats des OLG Frankfurt/M. (vgl. Beschl. v. 3.9.2011 – 19 W 46/10) in Übereinstimmung mit der Rspr. des 9. Zivilsenats (Beschl. v. 1.9.2010 – 9 W 21/10) und des 17. Zivilsenats (u.a. Beschl. v. 25.2.2011 – 17 U 140/10) an seiner bisherigen Rechtsauffassung (Beschl. v. 7.6.2010 – 1 W 30/10) fest.
Ist auf dem Kapitalmarkt ein Anlageinteressent durch unrichtige Prospekte oder Verletzung von Anlageberatungs- oder Aufklärungspflichten bewogen worden, eine bestimmte Kapitalanlage zu tätigen, kann er – als eine denkbare Möglichkeit des Schadensausgleichs – verlangen, so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wie er gestanden hätte, wenn er die Anlage nicht getätigt hätte. In einem solchen Fall sind dem Geschädigten seine Einlage und die Vorteile zu ersetzen, die er durch deren anderweitige Anlage hätte erzielen können (BGH, Urt. v. 2.12.1991, NJW 1992, 1223). Dies entspricht dem Begehren der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit. Sie verlangen Rückzahlung des eingesetzten Kapitals Zug-um-Zug gegen Rückübertragung der erworbenen Wertpapiere und Ausgleich für die entgangenen Zinsvorteile; denn ein solcher Zinsschaden ergibt sich typischerweise daraus, dass das vorhandene Kapital in solcher Höhe erfahrungsgemäß nicht ungenutzt geblieben, sondern zu einem allgemein üblichen Zinssatz angelegt worden wäre (BGH, a.a.O., Rn 14).
Vor dem Hintergrund dieser rechtlichen Gegebenheiten ist es bereits erheblich zweifelhaft, ob es sich bei dem geltend gemachten Schaden in Gestalt anderweitig entgangener Anlagezinsen um Zinsen i.S.d. §§ 43 Abs. 1 GKG, 4 Abs. 1 S. 2 ZPO handelt. Denn Zinsen i.S.d. Vorschriften sind typischerweise das vom Schuldner zu entrichtende Entgelt für die Überlassung von Kapital (vgl. nur Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 4 Rn 11). Die Kläger begehren aber nicht Zinsen dafür, dass sie die Einlage der Rechtsvorgängerin Beklagten zu 1) überlassen haben, sondern ihre Klage ist auf Ausgleich des Nachteils gerichtet, dass ihnen der Anlagebetrag nicht für eine anderweitige, für sie vorteilhafte Anlagemöglichkeit zur Verfügung gestanden hat. Entscheidend für die Abgrenzung ist, wer das Kapital hätte nutzen können. Nur soweit dies derjenige ist, dem das Kapital überlassen wurde oder sonst – etwa aufgrund eines vereinbarten Zahlungsziels – weiterhin zur Verfügung stand (vgl. BGH, Beschl. v. 25.3.1998, NJW 1998, 2060), handelt es sich um "Zinsen" im Sinne eines Nutzungsentgelts für das überlassene oder noch belassene Kapital.
Jedenfalls aber ist der geltend gemachte Anspruch auf Ausgleich anderweitig entgangener Anlagezinsen nicht als Nebenforderung neben der Rückforderung der Einlage anzusehen. Das Wesen einer Nebenforderung besteht darin, dass sie sachlich-rechtlich vom Bestehen einer Hauptforderung abhängig ist; sind die Forderungen dagegen nach materiellem Recht gleichrangig, so ist keine von ihnen eine Nebenforderung (OLG München, Beschl. v. 16.11.1993, NJW-RR 1994, 153); OLG Oldenburg, Beschl. v. 6.3.2007, OLGR 2007, 424; KG, Beschl. v. 18.2.2008 – 2 AR 7/08, NJW-RR 2008, 879). So liegt es hier. Denn die Forderung auf Rückzahlung des Anlagekapitals und ebenso die Forderung auf Ausgl...