RVG § 22 RVG VV Nr. 2300
Leitsatz
Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit einer Verkehrsunfallregulierung bemisst sich auch dann nach der Gesamtsumme aller Schadenspositionen, wenn der Versicherer bei Beauftragung des Anwalts dem Geschädigten bereits über einen Teilbetrag einen Scheck übersandt hat, den dieser jedoch noch nicht eingelöst hat, sondern erst nach Beratung durch seinen Anwalt einzieht.
AG Wangen, Urt. v. 31.5.2012 – 4 C 114/12
1 Sachverhalt
Das Fahrzeug des Klägers war bei einem Verkehrsunfall beschädigt worden. Er hatte sein Fahrzeug ordnungsgemäß reparieren lassen. Die Reparaturkosten beliefen sich auf 796,05 EUR. Der Versicherer übersandte daraufhin einen Verrechnungsscheck über 650,00 EUR. Er akzeptierte den in dem vom Kläger eingeholten Gutachten festgesetzten Wiederbeschaffungswert von 850,00 EUR, zog allerdings einen angeblichen Restwert in Höhe von 220,00 EUR ab. Darüber hinaus setzte er eine Kostenpauschale in Höhe von 20,00 EUR hinzu. Der Kläger löste den Scheck nicht ein, sondern nahm zunächst anwaltliche Hilfe zur Schadensregulierung in Anspruch. Sein Anwalt rechnete daraufhin gegenüber dem Versicherer wie folgt ab:
Reparaturkosten |
796,05 EUR |
Nutzungsausfall |
780,00 EUR |
Gutachterkosten |
182,00 EUR |
Auslagen |
25,00 EUR |
Gesamt |
1.090,05 EUR |
Hinzu setzte der Anwalt eine 1,3-Geschäftsgebühr aus dem vorgenannten Wert, also
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
110,50 EUR |
Auslagenpauschale |
20,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer |
24,80 EUR |
Gesamt |
155,30 EUR |
Hiervon zog er den zwischenzeitlich eingelösten Scheckbetrag in Höhe von 650,00 EUR ab sowie die zwischenzeitlich erfolgte Zahlung der Gutachterkosten. Es verblieb ein Restbetrag in Höhe von 413,55 EUR. Darauf zahlte der Haftpflichtversicherer 304,46 EUR.
Der Versicherer hat diesen Restbetrag nicht vollständig gezahlt, da er der Auffassung ist, die Anwaltskosten seien fehlerhaft berechnet. Bei der Berechnung des Gegen-standswertes hätte der per Scheck übermittelte Betrag von 650,00 EUR in Abzug gebracht werden müssen.
Das AG hat der auf Zahlung des Restbetrages gerichteten Klage stattgegeben.
2 Aus den Gründen
Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit und somit die Berechnung des Honorars richtet sich nach dem Auftrag des Mandanten (Gerold/Schmidt, RVG, § 22 Rn 2). Im Rahmen von § 294 BGB sind dabei diejenigen Kosten "erforderlich", die durch die Rechtsverfolgung bedingt sind. Die Ersatzpflicht setzt voraus, dass die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig ist. Davon ist regelmäßig auszugehen. In einfach gelagerten Fällen gilt dies allerdings nur, wenn der Geschädigte geschäftlich ungewandt ist oder die Schadensregulierung verzögert wird (Palandt, BGB, § 249 Rn 57). Die Berechtigung einer Beauftragung eines Rechtsanwalts ist grundsätzlich zwischen den Parteien auch unstrittig. Entgegen der Auffassung der Beklagten umfasst die Prüfungspflicht des Bevollmächtigten – zumindest im vorliegenden Fall – auch die Berechnung der zu erstattenden Reparaturkosten. Tatsächlich wollte der Beklagte nach durchgeführter Reparatur nicht auf der Grundlage eines wirtschaftlichen Totalschadens abrechnen, sondern verlangte die Erstattung der Werkstattkosten. Nachdem der Kläger juristisch nicht vorgebildet ist, konnte er die Berechtigung seines Begehrens nicht hinreichend selbst beurteilen. Bezeichnenderweise nahm er von der Einlösung des Schecks zunächst Abstand. Insbesondere konnte er nicht beurteilen, ob er durch die Vereinnahme des Scheckbetrages mit eventuellen weiteren Ansprüchen ausgeschlossen worden wäre. Eine Klarstellung durch die Versicherung, dass der genannte Betrag vorbehaltlos angeboten wurde und dadurch eventuelle weitere Ansprüche nicht ausgeschlossen sind, erfolgte nicht. Darüber hinaus musste der Kläger keine Kenntnis darüber haben, ob und gegebenenfalls inwieweit er verpflichtet war, sich am Restwertangebot festhalten zu lassen. Gleiches gilt auch für die Bemessung der Auslagenpauschale.
Nach alledem war es erforderlich, dass sich der Bevollmächtigte des Klägers im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit mit allen geltend gemachten Schadenspositionen zu befassen hatte (so auch AG Stuttgart-Bad Canstatt, Urt. v. 7.12.1990 – 8 C 2694/90).