Leitsatz
Die Pauschale für die Versendung von Akten darf nicht erhoben werden, wenn die Akten dem Prozessbevollmächtigten nicht übersandt, sondern auf dessen Antrag zur Abholung auf der Geschäftsstelle bereitgelegt werden. Dies gilt auch für das Einlegen der Akten zur Abholung in das Gerichtsfach des antragstellenden Prozessbevollmächtigten.
OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.5.2013 – 2 E 10509/13
1 Aus den Gründen
Die von dem Bezirksrevisor eingelegte Beschwerde gegen die erstinstanzliche Aufhebung der Anforderung der Auslagen für die Aktenversendung gem. Nr. 9003 GKG-KostVerz. (Aktenversendungspauschale) ist unbegründet. Das VG hat die Verfügung zu Recht aufgehoben.
Die Voraussetzungen für die Erhebung der Auslagenpauschale nach Nr. 9003 GKG-KostVerz. lagen nicht vor, da der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht um eine Übersendung der bei den Gerichtsakten befindlichen Verwaltungsvorgänge und Personalakten gebeten hatte, sondern ausdrücklich darum, "die Akten zur Abholung bei der Geschäftsstelle bereit zu legen". Eine Übersendung der Akten ist in diesem Fall weder beantragt worden, noch findet sie tatsächlich statt. Holt der Prozessbevollmächtigte die Akten selbst bei der Geschäftsstelle ab oder lässt er sie von einer seiner Kanzleikräfte dort abholen, so fehlt es am Tatbestandsmerkmal der "Versendung", weshalb eine Auslagenanforderung nicht auf Nr. 9003 GKG-KostVerz. gestützt werden kann.
Nr. 9003 GKG-KostVerz. spricht seinem Wortlaut nach ausdrücklich von einer Pauschale "für die Versendung von Akten". Der allgemeine Sprachgebrauch versteht unter einer "Versendung" die Übergabe des zu transportierenden Gegenstandes an einen sowohl vom Absender als auch vom Adressaten verschiedenen Dritten, der entsprechende Beförderungsleistungen anbietet und der die Akten aus dem Gerichtsgebäude an einen außerhalb liegenden Ort zum Adressaten bringt (OLG Koblenz, Beschl. v. 14.1.2013 – 14 W 19/13, NJW 2013, 1018 = NStZ-RR 2013, 125, 126 [= AGS 2013, 83]). Das Bereitlegen der Akten zur Abholung auf der Geschäftsstelle der Gerichts unterfällt daher ebenso wenig wie das Einlegen der Akten zur Abholung in das Gerichtsfach des antragstellenden Prozessbevollmächtigten dem Begriff der Versendung.
Der Einwand, dass auch dann, wenn das Akteneinsichtsgesuch mit der Erklärung des Prozessbevollmächtigten verbunden werde, die Akten bei der jeweiligen Geschäftsstelle abzuholen, für das Bereitstellen, die Anlage des Retenten, die zu dokumentierende Aushändigung der Akten und die Überwachung der fristgemäßen Rückgabe ein Mehraufwand entstehe (OLG Koblenz, Beschl. v. 14.1.2013 – 14 W 19/13, NJW 2013, 1018 = NStZ-RR 2013, 125, 126 [= AGS 2013, 83]), ist zwar in der Sache zutreffend, vermag jedoch nicht zu rechtfertigen, den Begriff der "Versendung" in Nr. 9003 GKG-KostVerz. derart zu überdehnen, dass die Abholung der Versendung gleichgesetzt wird (so aber OLG Koblenz a.a.O.). Mit einer derartigen Auslegung wird vielmehr die Grenze des möglichen Wortsinns der Norm und damit die Grenze zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung (Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.10.1992 – 1 BvR 698/89, BVerfGE 87, 209, 224 f.) überschritten.
Zwar zieht der Wortlaut im Hinblick auf verfahrensrechtliche Vorschriften anders als etwa im materiellen Strafrecht keine starre Auslegungsgrenze (BVerfG, Beschl. v. 14.6.2007 – 2 BvR 1447/05, 2 BvR 136/05, BVerfGE 118, 212, 243). Dies gilt auch für kostenrechtliche Vorschriften wie Nr. 9003 GKG-KostVerz. Allerdings verbietet sich eine an teleologischen Gesichtspunkten ausgerichtete Norminterpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird, da sie unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers eingreift (BVerfG, ebenda).
Die Materialien zu Nr. 9003 GKG-KostVerz. sprechen nicht dafür, die Abholung der Versendung gleichzusetzen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend hervorgehoben hat, soll nach der amtlichen Begründung zu dem mit dem Kostenrechtsänderungsgesetz vom 24.6.1994 (BGBl S. 1325, 2591, 3471) neu in das Kostenverzeichnis aufgenommenen Auslagentatbestand pauschal die Abgeltung von Aufwendungen ermöglicht werden, die dadurch entstehen, dass Akteneinsichten an einem anderen Ort als dem der aktenführenden Stelle gewünscht und dadurch Versendungen notwendig werden (BT-Drucks 12/6962, S. 87). Auch die amtliche Begründung stellt damit ausdrücklich auf eine "Versendung" ab. Eine planwidrige Regelungslücke, die Voraussetzung für eine nach dem oben gesagten allein denkbare analoge Anwendung von Nr. 9003 GKG-KostVerz. wäre und die der Ausfüllung durch richterliche Rechtsfortbildung zugänglich sein könnte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.6.2007 – 2 BvR 1447/05, 2 BvR 136/05, BVerfGE 118, 212, 243; BVerwG, Urt. v. 18.4.1997 – 8 C 38.95, NJW 1997, 2966, 2967), liegt mithin auch unter diesem Gesichtspunkt...