ZPO § 91 RVG VV Nrn. 3200, 3201

Leitsatz

  1. Wird eine Berufung zurückgenommen, ohne begründet worden zu sein, und hatte der Berufungsbeklagte bereits einen Anwalt mit seiner Vertretung beauftragt, so ist eine ermäßigte Verfahrensgebühr nach Nrn. 3200, 3210 VV zu erstatten.
  2. Das gilt auch zugunsten einer Rechtsanwaltsgesellschaft.

BGH, Beschl. v. 19.9.2013 – IX ZB 160/11

1 Sachverhalt

Der Kläger legte fristgerecht Berufung gegen das Urteil des LG eingelegt. Nachdem er die Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist nicht begründet hatte, nahm er sie nach einem richterlichen Hinweis zurück. Schon zuvor hatten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten die Vertretung gegenüber dem Berufungsgericht angezeigt.

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat das LG durch Beschl. v. 2.3.2011 zugunsten der Beklagten die vom Kläger zu erstattenden Kosten auf Grundlage einer 1,6-fachen Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV i.H.v. 13.933,60 EUR nebst Zinsen festgesetzt. Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde des Klägers hat das LG teilweise abgeholfen und den zu erstattenden Betrag auf Grundlage einer 1,1-fachen Verfahrensgebühr nach Nrn. 3200, 3201 VV auf 9.585,60 EUR festgesetzt. Das OLG hat auf die weitergehende Beschwerde des Klägers die Kostenfestsetzung insgesamt aufgehoben und den Festsetzungsantrag zurückgewiesen. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Festsetzung der zu erstattenden Kosten auf Grundlage einer 1,6-fachen Verfahrensgebühr erreichen.

2 Aus den Gründen

Die gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie die Wiederherstellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses in seiner ursprünglichen Fassung und damit die Festsetzung eines Erstattungsanspruches von mehr als 9.585,60 EUR nebst Zinsen erstrebt. Das LG hatte der sofortigen Beschwerde des Klägers i.H.v. 4.348,00 EUR abgeholfen. Die hiermit verbundene Teilablehnung des Festsetzungsantrags der Beklagten ist rechtskräftig, nachdem die Beklagte gegen diese erstmals im Abhilfeverfahren eingetretene Beschwer kein Rechtsmittel eingelegt hatte (vgl. OLG München Rpfleger 1989, 55; MüKo-ZPO/Schulz, 4. Aufl., § 104 Rn 100 f.; Prütting/Gehrlein/Schmidt, ZPO, 5. Aufl., § 104 Rn 36).

Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde zulässig und begründet.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Kosten eines vom Berufungsbeklagten beauftragten Rechtsanwalts seien nur dann notwendig i.S.v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, wenn der Berufungsbeklagte anwaltlichen Rat in einer als risikohaft empfundenen Situation für erforderlich halten dürfe. Wenn die Partei selbst Rechtsanwalt sei oder ihr Rechtsanwälte angehörten, stelle sich die Prozesssituation für sie als Berufungsbeklagte erst dann als riskant dar, wenn eine Berufungsbegründung vorliege. Werde die Berufung schon während der laufenden Berufungsbegründungsfrist zurückgenommen oder verstreiche diese ungenutzt, müsse eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung hingegen nicht befürchtet werden.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Solange noch unsicher ist, ob die Berufung durchgeführt werden wird, ist die Beauftragung eines Rechtsanwalts für die Berufungsinstanz zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung objektiv nicht erforderlich (BGH, Beschl. v. 6.12.2007 – IX ZB 223/06, NJW 2008, 1087 [= AGS 2008, 155]). Die Kosten eines gleichwohl beauftragten Rechtsanwalts werden von der Rspr. alleine deshalb als erstattungsfähig anerkannt, weil der Rechtsmittelgegner anwaltlichen Rat in einer von ihm als risikohaft empfundenen Situation für erforderlich halten darf (BGH, Beschl. v. 17.12.2002 – X ZB 9/02, NJW 2003, 756 [= AGS 2003, 219]; v. 3.7.2007 – VI ZB 21/06, AGS 2007, 537; v. 6.12.2007, a.a.O.).

b) Hiernach durfte die hier beklagte Rechtsanwaltsgesellschaft die Einschaltung eines Rechtsanwaltes als notwendig erachten, obwohl im Zeitpunkt der Bestellung noch unsicher war, ob die Berufung durchgeführt werden würde. Für die Frage, ob eine Partei die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes als erforderlich ansehen darf, kommt es nicht darauf an, ob sie rechtskundig ist oder über eine eigene Rechtsabteilung verfügt (vgl. MüKo-ZPO/Schulz, 4. Aufl., § 91 Rn 57). Maßgeblich ist die Sicht einer verständigen Prozesspartei (BAG NJW 2008, 1340). Soweit der Senat erkannt hat, dass der sich selbst vertretende Anwalt die Situation nicht in gleicher Weise als risikobehaftet empfindet und deshalb keines Rates bedarf (BGH, Beschl. v. 6.12.2007, a.a.O.), folgt hieraus keine Abkehr von vorgenannten allgemeinen Grund-sätzen. Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem sich der sich selbst vertretende Rechtsanwalt im Rechtsmittelverfahren noch nicht bestellt hatte. In einem solchen Fall besteht kein Anlass dafür, vor Eingang einer Rechtsmittelbegründung Information und Beratung als anwaltliche Tätigkeit zu fingieren (BGH, Beschl. v. 6.12.2007, a.a.O.). Demgegenüber hatten sich die Bevollmächtigten der Beklagten im Berufungsverfahren bereits vor dem gerichtlichen Hinweis auf die Unzulässigkei...

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