StPO § 404 RVG VV Nrn. 1000, 1003, 4143
Leitsatz
Schließen Nebenkläger und Angeklagter auf "Antrag" des Nebenklägervertreters in der Hauptverhandlung einen zivilrechtlichen Vergleich über Ansprüche des Nebenklägers wegen eines durch die Straftat erlittenen Schadens, so steht dem Nebenklägervertreter hierfür eine 2,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV sowie eine 1,0-Einigungsgebühr nach Nr. 1003 i.V.m. Nr. 1000 VV zu, auch wenn kein förmliches Adhäsionsverfahren nach § 404 StPO vorausgegangen ist.
OLG Nürnberg, Beschl. v. 6.11.2013 – 2 Ws 419/13
1 Sachverhalt
In der Hauptverhandlung schloss der Vertreter der Nebenklägerin (Rechtsanwalt J) für diese mit dem Angeklagten einen Vergleich, wonach der Angeklagte an die Nebenklägerin einen bestimmten Betrag zur Abgeltung sämtlicher materiellen und immateriellen Schadensersatzansprüche zahle. Darüber hinaus wurde vereinbart, dass der Angeklagte "die im vorliegenden Adhäsionsverfahren entstehenden besonderen Kosten, die ihm insoweit entstehenden Auslagen und die der Nebenklägerin insoweit entstehenden notwendigen Auslagen" trage.
Den Gegenstandswert setzte das LG nach § 33 RVG auf 10.000,00 EUR fest. Hiernach beantragte die Nebenklägerin die Festsetzung eine 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV sowie einer 1,5-Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV. Die Rechtspflegerin des LG setzte die Verfahrensgebühr antragsgemäß fest, berücksichtigte jedoch nur eine 1,0-Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV. Gegen diese Entscheidung legten sowohl der Angeklagte als auch die Nebenklägerin sofortige Beschwerde ein. Der Angeklagte wandte sich gegen den Ansatz der Verfahrensgebühr. Die Nebenklägerin war der Ansicht, die Einigungsgebühr müsse mit einem Gebührensatz von 1,5 berücksichtigt werden. Beide sofortige Beschwerden hatten keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
In der Sache erweisen sich die sofortige Beschwerde der Nebenklägerin ebenso wie die sofortige Beschwerde des Verurteilten als unbegründet. Das LG hat im Kostenfestsetzungsbeschluss zutreffend eine 2,0-Verfahrensgebühr gem. Nr. 4143 VV sowie eine 1,0-Einigungsgebühr gem. Nr. 1003 i.V.m. Nr. 1000 VV festgesetzt.
a) Für die Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche im Strafverfahren erhält der Rechtsanwalt neben den Gebühren für das Strafverfahren an Stelle der in § 13 RVG i.V.m. Nr. 4100 VV bestimmten Gebühren eine einheitliche Gebühr, im ersten Rechtszug gem. Nr. 4143 VV in Höhe des doppelten der vollen Gebühr aus dem Wert des vermögensrechtlichen Anspruchs (Göttlich/Mümmler/Rehberg, RVG, 5. Aufl., "Adhäsionsverfahren 1.1").
Hierfür kommt es nicht darauf an, ob ein Adhäsionsverfahren nach § 404 Abs. 1 StPO förmlich eingeleitet war. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung. Nach der Vorbem. 4 VV entsteht die Verfahrensgebühr "für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information". Somit entsteht die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV, wenn der Rechtsanwalt beauftragt ist, im Strafverfahren vermögensrechtliche Ansprüche des Verletzten geltend zu machen, mit der ersten darauf gerichteten Tätigkeit (Göttlich/Mümmler/Rehberg, RVG, 5. Aufl., "Strafsachen 6.1"). Dass der Anspruch im Strafverfahren bereits anhängig geworden ist, ist nicht erforderlich (vgl. OLG Jena NJW 2010, 455 [= AGS 2009, 587]; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG 20. Aufl., Nr. 4143 VV Rn 6 m.w.Nachw.; Burhoff, in: Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., Teil B. Nr. 3143 VV Rn 2; Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl. VV Teil 4 Abschn. 1, Rn 133; Kroiß, in: Mayer/Kroiß, RVG Nrn. 4141-4147 VV Rn 23; anders wohl Göttlich/Mümmler/Rehberg, RVG, 5. Aufl., "Strafsachen 6.1"). Die Gebühr entsteht also auch, wenn vermögensrechtliche Ansprüche im Strafverfahren lediglich miterledigt werden, wie zum Beispiel im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG 20. Aufl., Nr. 4143 VV Rn 6).
Hier ergibt sich schon aus dem gestellten Antrag des Vertreters der Nebenklägerin, einen gerichtlichen Vergleich vor der Strafkammer abschließen zu wollen, dass Rechtsanwalt J mit der Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche beauftragt und insoweit für die Nebenklägerin gegenüber dem Verurteilten tätig war (so in einem vergleichbaren Fall auch OLG Jena NJW 2010, 455 [= AGS 2009, 587]).
b) Durch den Abschluss des Vergleichs zwischen dem Verurteilten und der Nebenklägerin ist eine 1,0-Einigungsgebühr nach Nr. 1000 i.V.m. Nr. 1003 VV entstanden.
aa) Gem. Nr. 1000 Abs. 1 VV entsteht eine Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den (Nr. 1) die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird oder (Nr. 2) die Erfüllung des Anspruchs bei gleichzeitigem vorläufigem Verzicht auf die gerichtliche Geltendmachung (...) geregelt wird (Zahlungsvereinbarung). Der abgeschlossene Vergleich stellt einen solchen Vertrag dar, was von keiner der Beteiligten in Abrede gestellt wird.
bb) Gem. Nr. 1003 Abs. 1 VV beträgt der Gebührensatz der Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV statt 1,5 lediglich 1,0, wenn über den Gegenstand (des Vergleichs) ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbstständiges Beweisv...