Leitsatz
- Zu den Voraussetzungen der Anwaltshaftung, wenn der Rechtsanwalt den Mandanten nicht über die Möglichkeit informiert, Beratungshilfe in Anspruch zu nehmen.
- Zur Berechtigung von Beratungshilfe, wenn der Antragsteller einen Anwaltswechsel vornimmt.
OLG Hamm, Urt. v. 30.4.2015 – I-28 U 88/14
1 Sachverhalt
Die Klägerin wurde im Februar 2009 bei einem Verkehrsunfall verletzt.
Sie wandte sich zur Geltendmachung ihrer Ansprüche gegenüber dem gegnerischen Kfz-Versicherer – dem M – zunächst an den in N ansässigen Rechtsanwalt Q. Rechtsanwalt Q erreichte für die Klägerin fünf Abschlagszahlungen des M jeweils in Höhe von 1.000,00 EUR.
Die Mandatsbearbeitung durch Rechtsanwalt Q erschien der Klägerin aber als zu zögerlich. Außerdem war sie mit der – behauptetermaßen – von Rechtsanwalt Q vorgegebenen Entschädigungshöhe von 15.000,00 EUR nicht zufrieden.
Deshalb suchte die Klägerin Ende Juli 2010 die seinerzeit vom Beklagten zu 2) geführte Anwaltskanzlei in N auf, in der die Beklagte zu 1) als angestellte Rechtsanwältin tätig war.
Zwischen den Parteien ist im Einzelnen streitig, wie viele Besprechungstermine die Klägerin bei den Beklagten wahrnahm und was dabei jeweils besprochen wurde.
Unstreitig mandatierte die Klägerin jedenfalls die Beklagten mit der Anspruchsverfolgung gegenüber dem M. Im Zuge der Mandatserteilung unterzeichnete die Klägerin eine auf den 28.7.2010 datierte Vergütungsvereinbarung. Diese sah inhaltlich vor, dass die Beklagten für den Fall, dass sie bei dem gegnerischen Versicherer auch nur die von Rechtsanwalt Q in Aussicht gestellten 15.000,00 EUR realisieren würden, kein Honorar erhalten sollten. Sollten sie hingegen eine darüber hinausgehende Entschädigung erreichen, sollte ihnen eine Erfolgsbeteiligung in Höhe von 35 % des über 15.000,00 EUR hinausgehenden Betrages zustehen, zahlbar durch Verrechnung mit eingehenden Beträgen.
Am 29.7.2010 zeigte die Beklagte zu 1) dem M die Wahrnehmung der Interessen der Klägerin an.
Ebenfalls am 29.7.2010 erklärte die Beklagte zu 1) im Namen der Klägerin gegenüber Rechtsanwalt Q die Kündigung des dort geführten Mandats.
Rechtsanwalt Q reagierte darauf mit Schreiben v. 4.8.2010, in dem er jeweils eine Geschäfts- und Terminsgebühr – letzteres wegen einer gegen den Unfallverursacher anhängigen Strafsache – in Höhe von insgesamt 1.435,74 EUR abrechnete.
Die Beklagte zu 1) setzte sich daraufhin telefonisch mit Rechtsanwalt Q in Verbindung. Im Nachgang zu dem Telefonat wandte sie sich mit Schreiben v. 12.8.2010 an die Klägerin:
"... in Ihrer ... Angelegenheit habe ich mich mit den Rechtsanwälten Q und Kollegen nochmals telefonisch in Verbindung gesetzt. Richtig ist, wie ich Ihnen bereits vor Annahme des Mandats mitgeteilt habe, dass dort Rechtsanwaltsgebühren anhand des Berechtigungsscheins abgerechnet werden. Ich darf Sie bitten, den Berechtigungsschein bei den Rechtsanwälten Q und Kollegen abzugeben, sodass dort dann die Gebühren entsprechend abgerechnet werden. Da der Berechtigungsschein jedoch nicht vorliegt und auch noch nicht beantragt wurde, wurden die Gebühren Ihnen gegenüber abgerechnet."
Am 25.8.2009 überwies der M zur Abgeltung der Honorarforderung von Rechtsanwalt Q einen Betrag von 489,45 EUR an diesen. Eine weitere Honorarzahlung der Klägerin an Rechtsanwalt Q erfolgte nicht.
Am 2.9.2010 suchte die Klägerin das Amtsgericht auf und bekam dort einen Berechtigungsschein für Beratungshilfe durch einen Rechtsanwalt in der Angelegenheit “Schmerzensgeld aus Verkehrsunfall” ausgestellt. Dabei handelt es sich unstreitig um den einzigen für die Klägerin ausgestellten Berechtigungsschein.
Die weitere Verwendung dieses Berechtigungsscheines durch die Klägerin ist streitig:
Nach Darstellung der Klägerin will sie den Beratungsschein der Beklagten zu 1) anlässlich einer persönlichen Besprechung im Original vorgelegt haben. Nach Darstellung der Beklagten soll hingegen eine Aushändigung des Originals nicht erfolgt sein; sie wollen lediglich eine Kopie des Berechtigungsscheins als Anlage eines Telefax v. 11.11.2010 erhalten haben.
Am 16.11.2010 übersandte die Beklagte zu 1) ein Anspruchsschreiben an den M. Darin wurde die Auszahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 75.000,00 EUR, einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 100,00 EUR, eines Betrages von 65.437,00 EUR für den Haushaltsführungsschaden und die weitere Zahlung von monatlich 2.329,00 EUR für die fiktiven Haushaltsführungskosten verlangt.
Mit Schreiben vom gleichen Tage rechneten die Beklagten ferner gegenüber dem M ein gesetzliches Honorar von 5.469,24 EUR ab.
Am 14.1.2011 zahlte der M zur Liquidierung des Versicherungsfalles einen Betrag von 47.500,00 EUR an die Beklagten.
Am 18.1.2011 teilten die Beklagten diesen Zahlungseingang der Klägerin mit. Die Beklagten erläuterten, dass von dem über 15.000,00 EUR hinausgehenden Anteil vereinbarungsgemäß 35 % einbehalten und die verbleibenden 36.125,00 EUR an die Klägerin überwiesen würden. Davon würden einstweilen jedoch weitere 6.304,74 EUR abgesetzt, die den Beklagten an gesetzlichen Gebühren zustünden....