Leitsatz
- Bei Anwaltsdienstverträgen ist in der Regel davon auszugehen, dass das auffällige Missverhältnis zwischen den gesetzlichen Gebühren und dem vereinbarten Honorar (hier: "Mindesthonorar") den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung desjenigen rechtfertigt, der sich die überhöhte Vergütung hat zusagen lassen.
- Dies gilt erst recht, wenn darüber hinausgehend feststellbar ist, dass der Rechtsanwalt die Unterlegenheit des Mandanten auch bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt hat. Ein solcher Fall liegt vor, wenn ein Rechtsanwalt mit der Fertigung einer Selbstanzeige wegen einer begangenen Steuerhinterziehung beauftragt wird und er die durch die öffentliche Berichterstattung über sogenannte Steuer-CDs verstärkte Sorge des Mandanten, für die begangene Steuerhinterziehung (möglicherweise in einem öffentlichen Strafverfahren) belangt zu werden und dadurch auch berufliche Nachteile zu haben, zur Durchsetzung unangemessen hoher Honorarforderungen ausnutzt.
LG Stuttgart, Urt. v. 18.4.2016 – 27 O 382/15
1 Sachverhalt
Die Klägerin verlangt vom Beklagten Anwaltshonorar für die Bearbeitung einer Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung; der Beklagte verlangt widerklagend die Rückzahlung der Vorschüsse.
Der Beklagte hatte im Jahr 2004 ein Bankkonto in Liechtenstein eröffnet. Am 11.7.2015 beauftragte er die Klägerin, eine Rechtsanwaltskanzlei, eine steuerliche Selbstanzeige zu erstellen. Zwischen den Beteiligten bestand Einigkeit, dass die Selbstanzeige noch vor Abgabe der Steuererklärung für das Jahr 2014, die der Beklagte bereits gefertigt hatte, eingereicht werden sollte.
Im Erstberatungsgespräch mit Herrn Rechtsanwalt G. teilte der Beklagte mit, dass er insgesamt 65.000,00 EUR aus einer Erbschaft angelegt habe und der Gesamtvermögenswert auf 82.000,00 EUR angestiegen sei. In dem Termin schlossen die Parteien eine schriftliche Vergütungsvereinbarung. Sie sah einen Stundensatz von 250,00 EUR vor. Weiter wurde vereinbart, dass als "Mindestgebühr" die 30/10-Gebühr des § 30 StBVV in doppelter Höhe geschuldet wird und der Gegenstandswert mindestens dem Doppelten des gesetzlichen Mindestgegenstandswertes entspricht. Zudem war eine Auslagenpauschale in Höhe von 5 % der berechneten Gebühren vorgesehen.
Der Beklagte leistete Vorschüsse in Höhe von insgesamt 8.330,00 EUR, von deren Begleichung die weitere Bearbeitung abhängig gemacht worden war.
Am 9.9.2015 erstellte die Klägerin einen – dem Beklagten zunächst nicht bekannt gegebenen – Entwurf für die Nachmeldung von Einkünften. Auf der Basis einer von der Klägerin eingeholten Erträgnisaufstellung der Bank wurden darin Einkünfte aus Kapitalvermögen von insgesamt rund 15.000,00 EUR unter Berücksichtigung von Werbungskosten (insgesamt ca. 300,00 EUR) aufgeführt. Zusätzlich wurde ein Sicherheitszuschlag von 20 % angegeben. Weiter weist der Entwurf darauf hin, dass der Mandant noch fristgerecht eine Steuererklärung für das Jahr 2014 abgeben kann, aber vorsorglich auch "Einkünfte aus abhängiger Tätigkeit" mit knapp 30.000,00 EUR, "Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit" mit ca. 3.000,00 EUR und Einkünfte aus Kapitalvermögen mit ca. 1.300,00 EUR – jeweils einschließlich Sicherheitszuschlag – angegeben werden.
Am 7.9.2015 stellte die Klägerin dem Beklagten ihre Leistungen in Rechnung. Dabei rechnete sie für jedes der zehn Veranlagungsjahre 2004 bis 2013 eine 60/10-Gebühr gem. § 30 StBVV aus einem Gegenstandswert von 16.000,00 EUR ab, jeweils netto 3.564,00 EUR. Für das Veranlagungsjahr 2014 rechnete sie für jede Einkunftsart in entsprechender Weise ab, wobei sie für die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit einen Gegenstandswert von bis zu 30.000,00 EUR wählte, was zu einer Gebühr von 4.776,00 EUR führte. Weiter beinhaltet die Rechnung eine Auslagenpauschale von 2.377,20 EUR. Unter Berücksichtigung der Vorschüsse sowie der Umsatzsteuer ergibt sich die Klageforderung von 51.076,23 EUR.
Am 15.9.2015 forderte die Klägerin den Beklagten zur Begleichung der Rechnung auf. Dabei wies sie darauf hin, dass die Selbstanzeige zeitnah an das Finanzamt übermittelt werden müsse, andernfalls die Klägerin das Mandat wegen der Gefahr der strafrechtlichen relevanten Beihilfe zur Steuerhinterziehung niederlegen müsse und im Rahmen der gerichtlichen Geltendmachung der Honoraransprüche nicht an die anwaltliche Schweigepflicht gebunden sei. Am 18.9.2015 leitete die Klägerin das gerichtliche Mahnverfahren ein. Am 21.9.2015 beendete der Beklagte das Mandat. Die Selbstanzeige ließ er durch die Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten im Dezember 2015 abgeben. Darin wurden für die Jahre 2004 bis 2013 Einkünfte aus Kapitalvermögen von insgesamt ca. 8.500,00 EUR nacherklärt.
Die Klägerin behauptet, Herr Rechtsanwalt G. habe den Beklagten im Erstberatungsgespräch darauf hingewiesen, dass sich das Honorar in der Größenordnung von 50.000,00 EUR bewegen werde. Er habe ferner mitgeteilt, der Beklagte habe damit zu rechnen, dass zum Ende des Verfahrens inklusive Anwaltsvergütung, Nachversteuerung und Verzinsung alles, was er im Ausland habe, weg...