GG Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 1, 3
Leitsatz
Die Verweigerung der Beratungshilfe, mit der Begründung, es sei dem Rechtsuchenden zumutbar, selbst Widerspruch einzulegen und dabei die Beratung derjenigen Behörde in Anspruch zu nehmen, die zuvor den Ausgangsverwaltungsakt erlassen hat, ist verfassungswidrig.
BVerfG, Beschl. v. 13.8.2009–1 BvR 2604/08
1 Sachverhalt
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Beratungshilfe nach dem Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen BerHG.
1. Die Beschwerdeführerin erhielt von dem zuständigen Jobcenter einen Bescheid zur Aufhebung und Erstattung von Leistungen nach dem SGB II. Sie beantragte beim AG erfolglos Beratungshilfe für die Überprüfung. Die zuständige Rechtspflegerin wies den Antrag unter Hinweis auf die vorrangige Behördenberatung zurück.
Die Erinnerung wurde mit richterlichem Beschluss zurückgewiesen. Die Begründung eines Widerspruchs sei nicht erforderlich. Die Beratung könne zunächst bei dem Leistungsbetreuer oder der Widerspruchsstelle selbst eingeholt werden.
Die Anhörungsrüge, mit der die Beschwerdeführerin erneut auf die mangelnde Zumutbarkeit der behördlichen Beratung hingewiesen hat, wurde ebenso mit richterlichem Beschluss zurückgewiesen.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin, dass die angegriffenen Entscheidungen gegen das Willkürverbot, den Anspruch auf rechtliches Gehör und die Rechtwahrnehmungsgleichheit verstießen.
2 Aus den Gründen
II. 1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchst. b) BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Grundsätze sind in der Rspr. des BVerfG geklärt.
2. Die Verfassungsbeschwerde erweist sich danach als begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf Rechtwahrnehmungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 u. Abs. 3 GG).
Es wird insoweit auf den Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG v. 11.5.2009–1 BvR 1517/08 – verwiesen, wonach die vom AG befürwortete Auslegung des BerHG, dass es einem Rechtsuchenden zumutbar sei, selbst kostenlos Widerspruch einzulegen und dabei die Beratung derjenigen Behörde in Anspruch zu nehmen, die zuvor den Ausgangsverwaltungsakt erlassen hat, den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht wird.
Das AG hat keine Umstände angeführt, die die Notwendigkeit fremder Hilfe hier in Frage stellen könnten. Die Verweisung auf die Beratung durch dieselbe Behörde, deren Entscheidung die Beschwerdeführerin angreifen will, überschreitet die Grenze der Zumutbarkeit.
III. Die angegriffenen Entscheidungen werden gem. § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben. Die Sache wird an das AG zurückverwiesen, das erneut zu entscheiden hat.
Anmerkung
Der zitierte vorangegangene Beschluss des BVerfG (v. 11.5.2009–1 BvR 1517/08) ist abgedruckt in AGS 2009, 374.