StPO § 404 Abs. 1, 5; RVG VV Nrn. 1000, 1003, 4143
Leitsatz
- Der dem Nebenkläger bestellte Vertreter kann aus der Staatskasse Gebühren nach Nr. 4143 VV nur dann beanspruchen, wenn dem Nebenkläger (auch) in Bezug auf die in Nr. 4143 VV genannte Tätigkeit (hier Abschluss eines Vergleiches) Prozesskostenhilfe bewilligt wurde.
- Das Entstehen der Gebühr nach Nr. 4143 VV hängt nicht von einem förmlichen Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO ab. Entsprechend der Vorbem. 4 VV entsteht die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts, sofern dieser beauftragt ist, im Strafverfahren hinsichtlich des vermögensrechtlichen Anspruchs tätig zu werden.
- Zum Entstehen der Vergleichsgebühr nach Nr. 1003 VV.
OLG Jena, Beschl. v. 14.9.2009–1 WS 343/09
1 Sachverhalt
Im Strafverfahren gegen den Angeklagten wurde der Geschädigte im Hauptverhandlungstermin vor der großen Strafkammer des LG als Nebenkläger zugelassen. Zur unentgeltlichen Wahrnehmung seiner Interessen wurde ihm eine Rechtsanwältin als Opferanwältin beigeordnet (§ 397a Abs. 1 i.V.m. § 395 Abs. 1 Nr. 1 a StPO). In ihrem Schlussvortrag beantragte die Nebenklägervertreterin u.a., ihm "Prozesskostenhilfe bezüglich des Abschlusses des Vergleichs zu bewilligen unter gleichzeitiger Beiordnung". Nach Verkündung des Urteils an diesem Tage erging in der Hauptverhandlung folgender Beschluss: "Dem Nebenkläger wird bezüglich des Abschlusses des Prozessvergleiches Prozesskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwältin B bewilligt."
Im Anschluss schlossen der Nebenkläger und der Angeklagte zu Protokoll der Hauptverhandlung einen Vergleich über die Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,00 EUR. Die beigeordnete Rechtsanwältin beantragte daraufhin für ihre Tätigkeit als Vertreterin des Nebenklägers die Festsetzung ihrer Vergütung in Höhe von insgesamt 1.039,47 EUR, wobei sich dieser Betrag aus einer Grundgebühr nach Nr. 4100 VV (132,00 EUR), einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4112 VV (124,00 EUR), einer Terminsgebühr nach Nr. 4114 VV (216,00 EUR), einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV (210,00 EUR), einer Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV (1,5-facher Satz – 157,50 EUR), einer Pauschale für Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 VV (20,00 EUR) und einer Dokumentenpauschale nach Nr. 7001 VV (14,00 EUR) sowie der auf diese Beträge entfallenden Umsatzsteuer von 19 % nach Nr. 7008 VV (165,97 EUR) zusammensetzt.
Die Urkundsbeamtin beim LG Gera setzte die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 976,99 EUR fest, wobei sie statt der beantragten 1,5-fachen Gebühr nach Nr. 1000 VV nur die einfache Vergleichsgebühr in Höhe von 105,00 EUR nebst Mehrwertsteuer festsetzte.
Hiergegen erhob die beigeordnete Rechtsanwältin Erinnerung. Diese wurde der Bezirksrevisorin beim LG vorgelegt, die ihrerseits beantragte, der Erinnerung von Rechtsanwältin B abzuhelfen, aber andererseits selbst Erinnerung einlegte mit dem Ziel, die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV in Wegfall zu bringen. Daraufhin wurde die Vergütung der Nebenklägervertreterin entsprechend dem Vorschlag der Bezirksrevisorin festgesetzt: Erhöhung der Einigungsgebühr auf den 1,5-fachen Satz und Wegfall der Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV.
Gegen den neuen Kostenfestsetzungsbeschluss legte die Nebenklägervertreterin erneut Erinnerung ein, welche die große Strafkammer als unbegründet zurückwies. Gegen diesen Beschluss legte die Rechtsanwältin sofortige Beschwerde ein, die in der Sache überwiegend Erfolg hatte.
2 Aus den Gründen
Der Nebenklägervertreterin steht für ihre Tätigkeit in der Hauptverhandlung auch die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV zu. Nr. 4143 VV regelt die Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren über vermögensrechtliche Ansprüche des Verletzten oder seines Erben. Vorliegend ist für das Entstehen des Gebührenanspruchs der Nebenklägerin zunächst Voraussetzung, dass für den Abschluss eines Prozessvergleichs, der sich auf vermögensrechtliche Ansprüche des Verletzten bezog, eine ausdrückliche Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfolgte. Die zu Beginn der Hauptverhandlung erfolgte Beiordnung erstreckte sich nämlich noch nicht auf die Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche des Verletzten. Erst durch die Erweiterung der Bestellung auf den Abschluss eines Vergleichs kommt eine Geltendmachung von Gebühren nach Nr. 4143 VV überhaupt in Betracht (vgl. BGH NJW 2001, 2486; OLG München StV 2004, 38; OLG Dresden AGS 2007, 405; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 351).
Dem Entstehen einer Gebühr nach Nr. 4143 VV steht nicht entgegen, dass ein Adhäsionsverfahren nach § 404 Abs. 1 StPO nicht förmlich eingeleitet war: der Abschluss eines Vergleiches vor Gericht wurde nicht "bis zum Beginn der Schlussvorträge" beantragt, sondern erst im Schlussvortrag von der Nebenklagevertreterin angesprochen.
Dass das Entstehen der Gebühr nach Nr. 4143 VV nämlich nicht vom förmlich gestellten Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO abhängt, ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung des RVG. Nach der Vorbem. 4 VV entsteht die Verfahrensgebühr "für das Betreiben des Geschäfts ei...