RVG §§ 15a, 55; RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4

Leitsatz

Im Hinblick auf den in § 15a RVG lediglich ergänzend zum bereits geltenden Recht zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Willen kann die Staatskasse auch in sog. Altfällen im Vergütungsfestsetzungsverfahren eine entstandene Geschäftsgebühr nach Maßgabe der Vorbem. 3 Abs. 4 VV nicht anteilig auf die Verfahrensgebühr anrechnen, sofern der beigeordnete PKH-Anwalt keine Zahlung auf die Geschäftsgebühr erhalten hat.

OLG Köln, Beschl. v. 5.10.2009–17 W 261/09

1 Aus den Gründen

Entgegen der dem angefochtenen Beschluss ebenso wie der vorangegangenen Nichtabhilfeentscheidung des Rechtspflegers im Verfahren über die Erinnerung zugrunde liegenden, auch vom Bezirksrevisor geteilten Auffassung ist im vorliegenden Fall für die Anrechnung einer hälftigen Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV auf den angemeldeten Kostenvorschuss nach Maßgabe der Anrechnungsvorschrift in Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV kein Raum.

Mit Recht ist der Rechtspfleger zunächst davon ausgegangen, dass der vorbezeichnete Festsetzungsantrag entgegen der unrichtigen Bezeichnung ("1,3 Gebühr gem. Nr. 2300 VV") tatsächlich eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV zum Gegenstand hat. Sowohl dem Rechtspfleger als auch dem Bezirksrevisor in dessen Stellungnahme ist weiter im Ansatz auch dahingehend zu folgen, dass – auf der Grundlage der bisherigen "Anrechnungs-Rechtsprechung" des BGH (vgl. grundlegend BGH NJW 2008, 1323) – die ganz überwiegende Mehrzahl der Oberlandesgerichte davon ausgegangen ist, eine entstandene Geschäftsgebühr sei auch bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf die im weiteren Verfahren angefallene Verfahrensgebühr grundsätzlich selbst dann anzurechnen, wenn der beigeordnete Rechtsanwalt tatsächlich keine Leistungen auf die Geschäftsgebühr erhalten hat (zum Streitstand vgl. OLG Koblenz AGS 2009, 446, 447).

Für diese Betrachtungsweise ist aber jedenfalls nach Inkrafttreten von § 15a RVG am 5.8.2009 kein Raum mehr. Die Einschätzung der Einzelrichterin sowie des Rechtspflegers, § 15a RVG habe mit Rücksicht auf § 60 Abs. 1 S. 1 RVG (n.F.) für sog. Alt- oder Übergangsfälle keine Bedeutung, trifft nicht zu. Der Senat hat mit Beschl. v. 14.9.2009–17 W 195/09 (NJW-Spezial 2009, 651) zur Frage der Anwendung von § 15a RVG auf das bei dessen Inkrafttreten noch nicht abgeschlossene Festsetzungsverfahren erstmals ausgeführt:

"Nach dem Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung des § 15a RVG ist das vom BGH bislang angenommene erweiterte Anrechnungsgebot aus Vorbem. 3 Abs. 4 VV (vgl. etwa BGH NJW 2008, 1323) hinfällig geworden. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr hat auch in Altfällen nur nach Maßgabe von § 15a Abs. 2 RVG zu erfolgen (so im Ergebnis auch OLG Stuttgart, Beschl. v. 11.8.2009–8 W 339/09; OLG Düsseldorf AGS 2009, 372; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 4.8.2009–4 E 1609/08; LG Berlin AGS 2009, 367; AG Wesel AGS 2009, 312; Hansens, RVGreport 2009, 306). Das Anrechnungsgebot erstreckt sich danach grundsätzlich nur auf das Vergütungsverhältnis zwischen Anwalt und Mandant, während sich ein Dritter nach den in § 15a Abs. 2 RVG aufgeführten Regelungsalternativen nur dann auf die Anrechnung berufen kann, wenn er in eigener Person als Schuldner/Erstattungspflichtiger sowohl für die Geschäftsgebühr als auch für die Verhandlungsgebühr zu betrachten ist."

Hierbei mag davon auszugehen sein, dass die gesetzliche Neuregelung des § 15a RVG eine der Übergangsvorschrift aus § 60 Abs. 1 RVG unterfallende Bestimmung beinhaltet. Entgegen einer in der Rspr. vertretenen Auffassung (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.8.2009–12 W 91/09; KG, Beschl. v. 13.8.2009–2 W 128/09; OLG Celle, Beschl. v. 26.8.2009–2 W 240/09) hat dies aber nicht zur Folge, dass die bisherige Rspr. des BGH in Altfällen fortzuführen wäre. Die nach dieser Auffassung maßgebliche formale Anknüpfung an die bloße Gesetzeschronologie lässt im Kern unberücksichtigt, dass sich die gesetzliche Neuregelung des § 15a RVG ersichtlich vor dem Hintergrund der bisherigen BGH-Rspr. und der sich hieraus ergebenden rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten versteht, die künftig vermieden werden sollen (zu den Gesetzesmaterialien vgl. LG Berlin a.a.O.; Hansens a.a.O.). In Anbetracht dessen hält es der Senat für geboten, diese Ziel- und Wertvorstellungen des Gesetzgebers auch bei der Auslegung und Anwendung der bisherigen, durch § 15a RVG im Übrigen nicht veränderten Gesetzeslage heranzuziehen. Auch die BGH-Rspr. zum erweiterten Anrechnungsgebot erging im Rahmen einer Gesetzesauslegung, die nicht starr und unverrückbar ist, sondern der Rechtsfortbildung unterliegt, innerhalb derer veränderte rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen und Wertvorstellungen Berücksichtigung finden können und müssen (vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Aufl., Einl. vor § 1 Rn 54 ff.).

Ein Festhalten an der Gesetzesauslegung des BGH wäre bei der nunmehr gegebenen Sach- und Rechtslage verfehlt, denn dies stünde in offenem Widerspruch zu den gesetzgeberischen Intentionen und würde die rechtspra...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?