RVG § 15a; ZPO §§ 91 ff., 103 ff.
Leitsatz
Schließen die Parteien einen Vergleich "zur Abgeltung der Klageforderung", sind damit auch die mit der Klage verfolgten vorgerichtlichen Anwaltskosten erfasst, so dass die eingeklagte Geschäftsgebühr als tituliert i.S.d. § 15a Abs. 2 RVG gilt und im Kostenfestsetzungsverfahren hälftig anzurechnen ist.
AG Bremen, Beschl. v. 22.9.2009–9 C 213/09
1 Sachverhalt
Die Klägerin hatte die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch genommen. Sie hatte beantragt, die Beklagten zur Zahlung von 1.014,26 EUR nebst Zinsen und 155,30 EUR vorgerichtlichen Anwaltskosten zu verurteilen. Die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten berechneten sich aus einer 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV, der Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV und der Mehrwertsteuer nach Nr. 7008 VV. Mit Beschluss hat das AG Bremen festgestellt, dass die Parteien sich dahingehend verglichen haben, dass die Beklagten zur Abgeltung der Klageforderung an die Klägerin 600,00 EUR zahlen.
Im Rahmen des Kostenfestsetzungsbeschlusses wurden die von den Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten von der zuständigen Rechtspflegerin des AG auf 187,18 EUR festgesetzt. Hierbei wurde die Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche anwaltliche Vertretung gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV zur Hälfte auf die im Prozess angefallene Verfahrensgebühr angerechnet. Hiergegen wendet sich die Klägerin unter Hinweis auf § 15a Abs. 1 RVG.
Die Erinnerung hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Die Rechtspflegerin hat zu Recht bei der Festsetzung der von den Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten die Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV hälftig auf die Verfahrensgebühr angerechnet. Dem steht § 15a Abs. 1 RVG nicht entgegen.
Das Gericht geht davon aus, dass § 15a Abs. 1 RVG lediglich eine Klarstellung der bereits vor dem 5.8.2009 geltenden Gesetzeslage enthält und somit keine Rechtsänderung herbeigeführt hat (BGH, Beschl. v. 2.9.2009 – II ZB 35/07). Insofern ist im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nicht zwischen der aktuellen Rechtslage und sog. "Alt-Fällen" zu unterscheiden. § 60 Abs. 1 RVG ist nicht einschlägig.
Eine Anrechnung einer für die außergerichtliche Anwaltstätigkeit entstandenen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr findet im Kostenfestsetzungsverfahren nur unter den Voraussetzungen des § 15a Abs. 2 RVG statt. Vorliegend liegt hinsichtlich der Geschäftsgebühr bereits ein Titel vor, so dass § 15a Abs. 2, 2. Var. RVG eingreift. Der durch Beschluss gem. § 278 Abs. 6 ZPO festgestellte Vergleich stellt auch hinsichtlich der Geschäftsgebühr einen Vollstreckungstitel dar. Die Geschäftsgebühr war in voller Höhe Teil der Klageforderung. Durch den Vergleichsschluss "zur Abgeltung der Klageforderung" wurde auch über diese Nebenforderung eine abschließende Regelung getroffen. Es entspricht grundsätzlich sowohl dem Willen der Parteien als auch dem Sinn und Zweck eines Vergleichsschlusses, auch die eingeklagten Nebenforderungen in den Vergleich einzubeziehen. Wird also die Formulierung "zur Abgeltung der Klageforderung" verwendet, so umfasst der entsprechende Vergleich auch die mit der Klage verfolgten Nebenkosten, einschließlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten. Im Falle der Formulierung "Damit sind alle wechselseitigen Ansprüche erledigt" wären auch nicht eingeklagte Nebenforderungen vom Vergleich umfasst. Möchten die Parteien einen Vergleich schließen und hierbei Nebenforderungen, z.B. Zinsen, Mahnkosten oder Anwaltskosten, ausklammern, so ist hierüber eine ausdrückliche Regelung zu treffen und in den Vergleich aufzunehmen. Ohne eine solche ausdrückliche Regelung ist nicht davon auszugehen, dass die Parteien trotz "Abgeltung der Klageforderung" den Rechtsstreit über die ebenfalls eingeklagten Nebenforderungen fortführen, mithin nur einen Teilvergleich schließen wollen.
Damit dient die hier vereinbarte Zahlung von 600,00 EUR durch die Beklagten an die Klägerin auch der Abgeltung der Geschäftsgebühr, so dass diesbezüglich ein Vollstreckungstitel vorliegt und die Anrechnung auf die Verfahrensgebühr gem. § 15a Abs. 2 RVG im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen war.
3 Anmerkung
Die Entscheidung des AG Bremen halte ich für unzutreffend. Das AG Bremen stand vor einem Dilemma und hat dies kurz, bündig und radikal gelöst, was durchaus auch etwas für sich hat.
Auf der anderen Seite wäre es zu billig, das AG Bremen dafür zu kritisieren, dass die beteiligten Anwälte bei Abschluss des Vergleichs nicht aufgepasst haben.
Fälle dieser Art kommen häufig vor und führen ständig zu Problemen. Insoweit ist es erstaunlich, dass sich die Rspr. erst jetzt mit diesem Thema befassen musste.
Die Grundkonstellation ist einfach und kommt ständig vor.
Eingeklagt wird eine Forderung in Höhe von 5.000,00 EUR sowie eine daraus vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr in Höhe von
1. |
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
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(Wert: 5.000,00 EUR) |
391,30 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
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Zwischensumme |
411,30 EUR |
3. |
19 % Umsatzsteuer, N... |