"Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen" (§ 14 Abs. 1 S. 1 RVG).

Soweit Umfang und Schwierigkeit einer Angelegenheit zu berücksichtigen sind, ergibt der Wortlaut klar, dass sich diese Kriterien auf die anwaltliche Tätigkeit beziehen, wobei die individuelle Problematik des Mandanten hier einfließen kann, vgl. z.B.

  • Gebrechen des Mandanten, die die Mandatsbearbeitung umfangreich machen,[1]
  • geistig retardierter Mandant,[2]
  • intellektuelle Minderbegabung des Mandanten,[3]
  • mangelhafte Deutschkenntnisse des Mandanten,[4]
  • problematischer Mandant,[5]
  • psychische Auffälligkeit des Mandanten,[6]
  • schlechte Erreichbarkeit des im Ausland befindlichen Mandanten.[7]

Die Bedeutung der Angelegenheit wird bislang alleine aus der Perspektive des Mandanten betrachtet und gewertet, so die einhellige Auffassung in der aktuellen Kommentierung zum RVG,[8] aber auch schon zur Vorläufervorschrift § 12 BRAGO,[9] wobei dort die Bedeutung der Angelegenheit an erster Stelle der Aufzählung aufgeführt war.

Der Wortlaut der Bestimmung gab weder in § 12 BRAGO, noch gibt er heute in § 14 RVG Veranlassung zu dieser engen Interpretation. Syntaktisch ist die Bedeutung der Angelegenheit nicht mit den in der Aufzählung folgenden "Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Mandanten" verbunden, sondern steht alleine, in der Fassung des § 12 BRAGO[10] sehr deutlich erkennbar.

Tatsächlich spricht einiges dafür, die bisherige enge Interpretation aufzubrechen, zumal dies vor mehr als zwanzig Jahren das BVerfG[11] schon getan hat. Die Entscheidung befasst sich mit § 113 Abs. 2 S. 3 BRAGO,[12] dem der heutige § 37 Abs. 2 S. 2 RVG[13] ähnelt.

Das BVerfG beleuchtet zuerst die subjektive Seite der Bedeutung der Angelegenheit und stellt fest, dass "maßgeblich ... nicht nur die unmittelbar verfolgten Ziele des Auftraggebers, sondern auch die weiteren Auswirkungen auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse, auf seine Stellung und sein Ansehen" sind. Eine Erfolgskomponente sieht das Gericht, indem es berücksichtigt wissen will, "ob die angestrebte Entscheidung zu einer rechtlichen oder tatsächlichen Klärung weiterer vom Auftraggeber betriebener Angelegenheiten führen kann".

Im verfassungsgerichtlichen Verfahren liege die objektive Bedeutung der Angelegenheit in den über den Einzelfall hinausgehenden Auswirkungen einer Entscheidung des Gerichts.

In neueren Entscheidungen setzt das BVerfG subjektive und objektive Bedeutung gleichwertig nebeneinander.[14] Dies gilt aber nicht nur für verfassungsgerichtliche Verfahren, auch wenn das BVerfG sich in der zitierten Entscheidung abgehoben sieht von der Rspr. der Fachgerichte, insbesondere der Revisionsgerichte, die der Rechtswahrung, Rechtsfortbildung und Rechtsvereinheitlichung dient.

Tatsächlich wird man z.B. die Klärung grundsätzlicher rechtlicher Fragen als objektive Seite der Bedeutung der Angelegenheit sehen können.

So können Nebenkostenabrechnungen[15] im Mietvertragsrecht subjektiv für den Mandanten von vergleichsweise geringer Bedeutung sein, weil es sich um Kleinbeträge handelt; wird aber damit die grundsätzliche Frage der Umlagefähigkeit beantwortet, so ist die Bedeutung der Angelegenheit objektiv sehr hoch, da eine Vielzahl von Nebenkostenabrechnungen von dieser Entscheidung betroffen ist. Ähnlich verhält es sich mit der inzwischen umfassenden Rspr. zu Schönheitsreparaturen, bei denen es im Einzelfall um vergleichsweise geringe Beträge geht; oder mit der immer wieder auftauchenden Frage, ob Beratungshilfe für bestimmte Rechtsprobleme zu gewähren ist.[16]

Gleiches kann z.B. auch im Arbeitsrecht gelten: die "Emmely"-Entscheidung des BAG[17] hat Auswirkungen auf eine größere Zahl vergleichbarer Fälle;[18] unabhängig von subjektiv hohen Bedeutung des Verlustes des Arbeitsplatzes besteht in der Regelung dieses Falles die objektiv hohe Bedeutung der Angelegenheit.

Gem. § 3 ZPO wird der Wert einer Angelegenheit vom Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; auch bei der Ausübung des Ermessens kann die objektive Bedeutung der Angelegenheit berücksichtigt werden.[19]

Auch wenn die Bedeutung der Angelegenheit bei der Gebührenbemessung im gerichtlichten, streitwertbestimmten Verfahren angesichts der festen Gebührensätze keine Rolle spielt, wirkt sich die im gerichtlichen Verfahren erzielte grundsätzliche Klärung einer Rechtsfrage auf die Rahmengebühr der vorgerichtlichen Tätigkeit aus.

Dem steht auch der Gedanke, dass der Mandant nicht mit höheren Gebühren zu belasten ist, weil seine Angelegenheit eine objektiv hohe Bedeutung hat, nicht entgegen: Auch die Gegenstandswertfestsetzung in verfassungsrechtlichen Verfahren betrifft über den höheren Gegenstandswert bei objektiv hoher Bedeutung der Angelegenheit letztlich den Mandanten.

Fazit: Die Bedeutung der Angelegenheit ist vorrang...

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