RVG § 15a; ZPO § 91
Leitsatz
- Auch in Altfällen ist eine Geschäftsgebühr nur unter den Voraussetzungen des § 15a Abs. 2 RVG auf die Verfahrensgebühr anzurechen (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 9.12.2009 – XII ZB 175/07, AGS 2010, 54).
- Die Rechtskraft einer Entscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren über einen Antrag, mit dem eine Verfahrensgebühr unter hälftiger Anrechnung der Geschäftsgebühr geltend gemacht worden ist, steht einer Nachfestsetzung der restlichen Verfahrensgebühr nicht entgegen.
BGH, Beschl. v. 28.10.2010 – VII ZB 15/10
Sachverhalt
Das LG hatte den Beklagten antragsgemäß verurteilt und ihm die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren hat der Kläger lediglich eine um die 0,65-fache Geschäftsgebühr ermäßigte Verfahrensgebühr angemeldet, obwohl er die Geschäftsgebühr nicht mit eingeklagt hatte. Das LG hatte mit Beschluss vom 12.2.2009 antragsgemäß festgesetzt. Nach Inkrafttreten des § 15a RVG beantragte der Kläger die Festsetzung der restlichen 0,65-Verfahrensgebühr. LG und OLG haben den Antrag abgelehnt, weil dem die Rechtskraft des ursprünglichen Kostenfestsetzungsbeschlusses entgegenstehe. Die hiergegen erhobene zugelassene Rechtsbeschwerde des Klägers hatte Erfolg.
Aus den Gründen
1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Nachfestsetzung sei unzulässig, da ihr die materielle Rechtskraft des Festsetzungsbeschlusses vom 12.2.2009 entgegenstehe. Das LG habe über die Verfahrensgebühr rechtskräftig entschieden. Daran ändere nichts, dass der Kläger seinerzeit nur die Kosten der ermäßigten Verfahrensgebühr geltend gemacht habe. Mehr habe ihm nach der Rspr. des BGH nicht zugestanden. Das LG habe also nicht nur über einen Teil der Verfahrensgebühr entschieden, sondern über den Erstattungsanspruch in voller Höhe, so wie er dem Kläger zugestanden habe. Demnach bleibe kein Rest, der von den Wirkungen der Rechtskraft ausgenommen und daher einer Nachfestsetzung zugänglich wäre.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Nachfestsetzungsantrag ist begründet. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr findet nicht statt (a). Einer Nachfestsetzung steht die Rechtskraft des Beschlusses des LG nicht entgegen (b).
a) Der BGH hat bis zur Einführung des § 15a RVG durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30.7.2009 entschieden, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV auch im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen sei (vgl. grundlegend BGH, Beschl. v. 22.1.2008 – VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323 [= AGS 2008, 158]).
Nach Inkrafttreten des § 15a RVG vertreten alle mit der Entscheidung befassten Senate des BGH – teilweise unter Aufgabe ihrer bisherigen Rspr. – die Auffassung, dass durch § 15a RVG lediglich eine Klarstellung der bisherigen Rechtslage erfolgt ist (BGH, Beschl. v. 2.9.2009 – II ZB 35/07, NJW 2009, 3101 [= AGS 2009, 466]; Beschl. v. 9.12.2009 – XII ZB 175/07, FamRZ 2010, 456 [= AGS 2010, 54]; Beschl. v. 11.3.2010 – IX ZB 82/08, AGS 2010, 159; Beschl. v. 29.4.2010 – V ZB 38/10, AGS 2010, 263; Beschl. v. 10.8.2010 – VIII ZB 15/10). Danach findet auch für Kostenfestsetzungen vor Inkrafttreten dieser Norm eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nur unter den in § 15a Abs. 2 RVG genannten Voraussetzungen statt. Der VII. Zivilsenat schließt sich dieser Rspr. an und nimmt zur Begründung Bezug auf die Entscheidung des XII. Zivilsenats vom 9.12.2009 (XII ZB 175/07, a.a.O.).
b) Danach ist auf den Nachfestsetzungsantrag des Klägers eine weitere Verfahrensgebühr in Höhe von 318,68 EUR nebst Zinsen festzusetzen. Dieser Festsetzung steht nicht die Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses des LG entgegen.
Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass Kostenfestsetzungsbeschlüsse der materiellen Rechtskraft fähig sein können (vgl. BGH, Beschl. v. 16.12.2003 – V ZB 51/02, NJW 2003, 1462 [= AGS 2003, 176]). Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme, über den im Nachfestsetzungsverfahren geltend gemachten Teil der Verfahrensgebühr sei bereits entschieden. Dieser war nicht Gegenstand der Entscheidung.
aa) Die Rechtskraft eines Kostenfestsetzungsbeschlusses bezieht sich nur auf die im Antrag geforderten und im Beschluss beschiedenen Beträge. Eine Nachforderung eines bislang nicht geltend gemachten Teils bezüglich desselben Postens hindert sie grundsätzlich nicht (Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 103 Rn 12; PG/K. Schmidt, ZPO, 2. Aufl., § 103 Rn 27; MünchKommZPO/Giebel, 3. Aufl., § 104 Rn 128 f.; vgl. OLG Stuttgart MDR 2009, 1136, zur Nachfestsetzung der Umsatzsteuer; BVerfG Rpfleger 1995, 476, zur Nachfestsetzung der Erhöhungsgebühr für Mehrvertretung). Dies deckt sich auch mit dem allgemeinen Verständnis der Rechtskraftwirkung bei offenen (BGH, Urt. v. 30.1.1985 – IVb ZR 67/83, BGHZ 93, 330) und verdeckten Teilklagen (BGH, Urt. v. 9.4.1997 – IV Z...