Die Entscheidung des OLG Oldenburg entspricht der ganz h. M.[1]

Soweit der Gegenstandswert 3.000,00 EUR nicht übersteigt, stellt sich das Problem allerdings nicht, da bis zu Werten von 3.000,00 EUR die Wahlanwalts- und die Pflichtanwaltsgebührenbeträge identisch sind, sodass in vollem Umfang angerechnet wird. Erst bei Werten über 3.000,00 EUR divergieren die Werte, sodass dann § 58 Abs. 2 RVG zu beachten ist.

Unklar ist allerdings, ob im Rahmen des § 58 Abs. 2 RVG nur die Differenz der Wahlanwaltsverfahrensgebühr zur Pflichtanwaltsverfahrensgebühr zu berücksichtigen ist oder ob die Differenz der gesamten Wahlanwaltskosten zu den Pflichtanwaltskosten zu berücksichtigen ist, also ob auch die Differenz der Terminsgebühr und der eventuellen Einigungsgebühr mit einzubeziehen ist.

Das OLG Oldenburg hat in seinem Fall sämtliche Gebühren im Rahmen des § 58 Abs. 2 berücksichtigt, sodass letztlich nichts mehr anzurechnen war.

 

Beispiel

Der Anwalt wird für den Auftraggeber wegen einer Forderung in Höhe von 10.000,00 EUR als Wahlanwalt tätig. Beratungshilfe war nicht beantragt worden. Angemessen sei eine 1,5-Geschäftsgebühr:

 
1. 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV (Wert: 10.000,00 EUR)   729,00 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 749,00 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   142,31 EUR
Gesamt 891,31 EUR

Hiernach wird der Anwalt im Rechtsstreit tätig. Der Partei wird Prozesskostenhilfe bewilligt und der Anwalt beigeordnet.

  Der Mandant hat die Geschäftsgebühr nicht gezahlt.
  Der Mandant hat die Geschäftsgebühr gezahlt.

a) Im Fall a) ist nichts anzurechnen, da der Anwalt auf die anzurechnende Gebühr keine Zahlung erhalten hat (§ 15a Abs. 2 RVG). Die Landeskasse muss die volle Verfahrensgebühr aus den Beträgen des § 49 RVG zahlen:

 
1. 1,3-Verfahrengsgebühr, Nr. 3100 VV, § 49 RVG   314,60 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV, § 49 RVG   290,40 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 625,00 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   118,75 EUR
  Gesamt 743,75 EUR

b) Im Fall b) ist die Zahlung, die der Anwalt von der bedürftigen Partei auf die Geschäftsgebühr erhalten hat, im Rahmen des § 58 Abs. 2 RVG zu berücksichtigen.

Geht man davon aus, dass nur die Differenz der Verfahrensgebühren dem Vorrecht des § 58 Abs. 2 RVG unterliegt, ist wie folgt abzurechnen:

 
1. 1,3-Verfahrengsgebühr, Nr. 3100 VV, § 49 RVG   314,60 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV, § 49 RVG   290,40 EUR
3. anrechnungsfähig nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV:    
  0,75 aus 10.000,00 EUR nach § 13 RVG – 364,50 EUR  
  davon nach § 58 Abs. 2 RVG anrechnungsfrei    
  (631,80 EUR - 314,60 EUR) 317,20 EUR  
      – 47,30 EUR
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 577,70 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   109,76 EUR
  Gesamt 687,46 EUR

Geht man dagegen davon aus, dass sich das Vorrecht des § 58 Abs. 2 RVG auf die Differenz sämtlicher Wahlanwaltsgebühren zu den Pflichtgebühren erstreckt – so das OLG Oldenburg – ist wie folgt zu rechnen:

 
1. 1,3-Verfahrengsgebühr, Nr. 3100 VV, § 49 RVG   314,60 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV, § 49 RVG   290,40 EUR
3. anrechnungsfähig nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV:    
  – 0,75 aus 10.000,00 EUR nach § 13 RVG – 364,50 EUR  
  – davon nach § 58 Abs. 2 RVG anrechnungsfrei    
  (631,80 EUR + 583,20 - 314,60 EUR - 290,40 EUR) 610,00 EUR  
      – 0,00 EUR
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 625,00 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   118,75 EUR
  Gesamt 743,75 EUR

Norbert Schneider

[1] OLG Brandenburg MDR 2011, 1206 = RVGreport 2011, 376; OLG Braunschweig FamRZ 2011, 1683 = RVGreport 2011, 254 = RVGprof. 2011, 151 =NJW-Spezial 2011, 635; OLG Zweibrücken AGS 2010, 329 = zfs 2010, 518 = FamRZ 2011, 138 = RVGreport 2010, 297 = FamRB 2010, 271 = RVGprof. 2011, 10.

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