RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4 RVG §§ 15a, 49, 50, 55 Abs. 5, 58 Abs. 2
Leitsatz
- Die Anrechnungsvorschrift des § 58 Abs. 2 RVG ist auch auf den anzurechnenden Teil von Zahlungen auf eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr anwendbar.
- Danach ist der gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnende Teil der gezahlten Geschäftsgebühr nicht sogleich auf die dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu gewährende, gem. § 49 RVG berechnete Verfahrensgebühr (Prozesskostenhilfevergütung), sondern zunächst auf die Differenz zwischen der – jeweils insgesamt im gerichtlichen Verfahren entstandenen – Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskostenhilfevergütung anzurechnen (Aufgabe der im Senatsbeschl. v. 12.6.2008 – 13 WF 111/08, FamRZ 2008, 1765 = JurBüro 2008, 527, vertretenen Auffassung).
OLG Oldenburg, Beschl. v. 1.9.2011 – 13 W 29/11
1 Sachverhalt
Der Beklagte ist von der Klägerin auf Zahlung von 10.000,00 EUR nebst Zinsen in Anspruch genommen worden. Das LG hatte dem Beklagten Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Antragstellerin bewilligt.
Die Antragstellerin hat die Festsetzung einer aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung von 828,60 EUR nach einem Streitwert von 10.000,00 EUR beantragt. In diesem Betrag enthalten ist unter anderem eine 1,3-Verfahrensgebühr in Höhe von 314,60 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer. Die Antragstellerin hat angegeben, für die außergerichtliche Vertretung des Beklagten in derselben Angelegenheit eine Geschäftsgebühr erhalten zu haben. Die Festsetzungsbeamtin des LG hat die aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung auf 641,41 EUR festgesetzt und den darüber hinausgehenden Antrag mit der Begründung abgewiesen, die Geschäftsgebühr sei zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr anzurechnen.
Auf die dagegen gerichtete Erinnerung der Antragstellerin hat das LG die Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Dagegen richtet sich die – vom LG zugelassene – Beschwerde der Staatskasse, die keinen Erfolg hatte.
2 Aus den Gründen
Das LG hat die von der Antragstellerin geltend gemachte Vergütung mit Recht in voller Höhe festgesetzt.
1. Allerdings hat der Senat entschieden, dass bei einer vorgerichtlichen Tätigkeit des später beigeordneten Rechtsanwalts in derselben Angelegenheit aufgrund der Anrechnungsvorschrift in Vorbem. 3 Abs. 4 VV im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren nur eine verminderte Verfahrensgebühr entsteht und damit die Festsetzung einer vollen Verfahrensgebühr nicht in Betracht kommt (Senatsbeschl. v. 12.6.2008 – 13 WF 111/08, FamRZ 2008, 1765; ebenso OLG Saarbrücken, Beschl. v. 30.4.2009 – 5 W 127/09). Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, es entspreche der – seinerzeit – gefestigten Rspr. des BGH, dass sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV durch die Anrechnung der Geschäftsgebühr verringere. Die Anrechnungsvorschriften des § 58 RVG seien in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Sie enthielten keine Sonderregeln darüber, welche Gebühren für die einzelnen Verfahrensabschnitte entstünden und festzusetzen seien. Daher sei bei einer außergerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts in derselben Angelegenheit die Verfahrensgebühr um die halbe Geschäftsgebühr zu kürzen (Senatsbeschluss, a.a.O., m. w. Nachw.).
2. An dieser Rspr. hält der Senat nach der inzwischen erfolgten Änderung des RVG und der Einführung des § 15a RVG nicht mehr fest.
a) Gem. § 15a Abs. 1 RVG kann der Rechtsanwalt, wenn nach dem RVG die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorgesehen ist, beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Mit dieser am 5.8.2009 in Kraft getretenen Regelung hat der Gesetzgeber den bisher nicht definierten Begriff der Anrechnung inhaltlich bestimmt und klargestellt, dass beide Gebührenansprüche grundsätzlich unangetastet bleiben (vgl. BTDrucks. 16/12717, S. 58). Das gilt nach der inzwischen zu § 15a RVG ergangenen Rspr. des BGH auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten der Vorschrift (vgl. nur BGH, Beschl. v. 10.8.2010 – VIII ZB 15/10, JurBüro 2011, 22, m. w. Nachw.).
Damit lässt sich das entscheidende Argument, welches gegen eine Anwendung des § 58 RVG sprach, dass nämlich die Verfahrensgebühr aufgrund der Anrechnungsvorschriften von vornherein nur in gekürzter Höhe entstehe, nicht mehr aufrechterhalten (so auch OLG Braunschweig, Beschl. v. 22.3.2011 – 2 W 18/11, RVGreport 2011, 254; Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., § 58 Rn 44. a.A. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 12.2.2010 – 18 W 3/10).
b) Mit der Einführung des § 15a RVG ist auch die Regelung zu den erforderlichen Erklärungen im Vergütungsantrag des beigeordneten Rechtsanwalts in § 55 Abs. 5 RVG dahingehend ergänzt worden, dass bei Zahlungen auf eine anzurechnende Gebühr diese Zahlungen, der Satz oder der Betrag der Gebühr und bei Wertgebühren auch der zugrunde gelegte Wert anzugeben sind. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, mit diesen Angaben stünden dem Urkundsbeamten für die Festsetzung der Vergütung alle Daten zur Verfügung, die er benötige, um zu ermitteln,...