BGB §§ 675 RVG § 3a BRAGO § 3
Leitsatz
- Ist mit Stundenhonorar abgerechneter Zeitaufwand teilweise überflüssig oder nicht nachweislich angefallen, so geht dies zu Lasten des Rechtsanwalts und seine Kostenrechnung ist entsprechend zu kürzen.
- Ungeklärte Bearbeitungszeiten geben nur dann Anlass, den gesamten aufgezeichneten Zeitaufwand anzuzweifeln, wenn wegen der Häufung von Unrichtigkeiten und Ungereimtheiten von betrügerischem Handeln des Rechtsanwalts auszugehen ist.
OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.6.2011 – 24 U 183/05
1 Sachverhalt
Die Parteien streiten, soweit hier noch von Interesse, um das offene Resthonorar, das der klagende Rechtsanwalt auf der Grundlage der Honorarvereinbarung vom 7.12.1999 noch für die Verteidigung und Vertretung des Beklagten in der Zeit vom 7.12.1999 bis 17.12.2002 in einem vor dem Schöffengericht Wuppertal geführten Strafverfahren verlangt. Dem liegt das folgende Geschehen zugrunde:
In einem ersten, bereits Ende des Jahres 1994 eingeleiteten Ermittlungs- und in dem sich daran anschließenden Strafverfahren (14 Ls 21 Js 1390/94 – AG Wuppertal, künftig: Erstverfahren) war der vom Kläger verteidigte Beklagte am 29.10.1998 angeklagt worden, als Gesellschafter und Geschäftsführer der F-GmbH gemeinschaftlich handelnd mit seinem Mitgesellschafter und -geschäftsführer in der Zeit von Februar 1991 bis November 1994 in 46 Fällen Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite in Höhe von mindestens rund 550.000,00 DM nicht abgeführt und tateinheitlich Betrug begangen sowie Gewerbe- und Körperschaftssteuer in Höhe von mindestens rund 400.000,00 DM verkürzt zu haben. Dieses Verfahren wurde am 10.11.1999 nach an einem Tag durchgeführter Hauptverhandlung wegen eines Prozesshindernisses (nicht hinreichend bestimmte Anklage) endgültig eingestellt. Das dem Beklagten vom Kläger für diese Verteidigertätigkeit berechnete Honorar (22.597,80 DM = 11.554,07 EUR) ist bezahlt.
Nur wenige Tage später, nämlich mit der Schrift vom 16.11.1999, die dem Beklagten am 3.12.1999 zugestellt worden war, erhob die Staatsanwaltschaft wegen desselben Sachverhalts und derselben daraus hergeleiteten Tatvorwürfe erneut Anklage. Der Kläger übernahm am 7.12.1999, dem Tag, an dem ihm die Anklageschrift zugestellt worden war, wiederum die Verteidigung. Er ließ sich zugleich die von ihm vorformulierte, mit "Honorarvereinbarung" überschriebene Urkunde vom Beklagten unterzeichnen (künftig: Honorarvereinbarung), in der sich dieser bereit erklärte, ein Wahlverteidigerhonorar zu einem Stundensatz von 450,00 DM (230,08 EUR) zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer zu zahlen (Nr. 1 Abs. 1 S. 1; Nr. 2 S. 1). Die Honorarvereinbarung enthält u.a. folgende weitere Einzelregelungen:
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Nr. 1 Abs. 1 S. 2: Abrechnung jeder angefangenen Viertelstunde zu einem Viertel des Stundensatzes (künftig: Zeittaktklausel) |
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Nr. 1 Abs. 1 S. 3: Honorierung anwaltlicher Tätigkeit außerhalb der Kanzlei nach der Zeittaktklausel vom Verlassen des Büros bis zur Rückkehr ins Büro |
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Nr. 1 Abs. 2 S. 1: Mindesthonorar in Höhe der gesetzlichen Vergütung |
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Nr. 2 Sätze 1 u. 2: Auslagenerstattung (Reisekosten, Tage- und Abwesenheitsgelder, Postgebühren und Schreibauslagen, Kopierkosten zu 1,00 DM/Kopie) |
Nach Zulassung der Anklage am 7.4.2000 und Einholung eines am 18.1.2001 erstatteten etwa dreihundertseitigen Sachverständigengutachtens zur umstrittenen Höhe nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge wurde der Beklagte nach an zwei Tagen durchgeführter Hauptverhandlung erstinstanzlich am 17.12.2002 – unter Einstellung des Verfahrens wegen der im Übrigen angeklagten Delikte – wegen Beitragsvorenthaltung in Tateinheit mit Betrug in 22 Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Im Berufungsrechtszug, in dem der Beklagte zuletzt von seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist und in dem er im Umfange erstinstanzlicher Verurteilung ein Geständnis abgelegt hatte, ist das Verfahren am 4.9.2007 vorläufig und am 28.5.2008 nach Zahlung einer Geldbuße (20.000,00 EUR) endgültig gem. § 153a StPO eingestellt worden.
Auf der Grundlage der dem Beklagten unter dem 29.11.2004 erteilten Kostennote über 25.094,79 EUR und der im Prozess nachgereichten Stundenaufzeichnung hat der Kläger – unter Berücksichtigung einer Teilzahlung von 2.000,00 EUR – für näher nach Art, Datum und Dauer bezeichnete anwaltliche Tätigkeiten in der Zeit vom 7.12.1999 bis 17.12.2002 ein Zeithonorar in Höhe von noch 23.094,79 EUR (zuzüglich Zinsen) gefordert.
Der Kläger hat mit seiner Klage neben dem hier noch streitigen Verteidigerhonorar (23.094,79 EUR) ferner gesetzliches Honorar für anderweitige anwaltliche und steuerberatende Tätigkeiten im Auftrag der F-GmbH in Höhe von 64.163,04 EUR (künftig: Gebührenforderung) geltend gemacht und beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 87.257,83 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Eintritt der Rechtshängigkeit (d. i. der 23.2.2005) zu zahlen.
Der Beklagte hat um Klageabweisung gebet...