Leitsatz
Gerät der Schuldner in Zahlungsverzug, ist auch in rechtlich einfach gelagerten Fällen die Beauftragung eines Rechtsanwalts zweckmäßig und erforderlich; ein Mandat zur außergerichtlichen Vertretung muss im Regelfall nicht auf ein Schreiben einfacher Art beschränkt werden.
BGH, Urt. v. 17.9.2015 – IX ZR 280/14
1 Sachverhalt
Der Kläger verlangt von dem Beklagten aus abgetretenem Recht seiner Mandantin (im Folgenden: Zedentin) die Erstattung von Rechtsanwaltskosten unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadensersatzes.
Nachdem der Beklagte der Zedentin die Bezahlung von Restbeträgen zweier Rechnungen für die Reparatur eines Kraftfahrzeugs vom 7. und 11.3.2011 schuldig geblieben und auf eine Zahlungsaufforderung sowie eine Mahnung nicht reagiert hatte, beauftragte die Zedentin den Kläger mit der außergerichtlichen Wahrnehmung ihrer Interessen. Mit anwaltlichem Mahnschreiben vom 20.7.2011 forderte der Kläger den Beklagten zunächst zum Ausgleich der einen Rechnung nebst einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer auf. Mit anwaltlichem Mahnschreiben vom 30.8.2011 verlangte der Kläger Entsprechendes mit Blick auf die andere Rechnung. Im September 2011 beglich der Beklagte die Rechnungen der Zedentin, die eingeforderten Rechtsanwaltskosten zahlte er nicht.
Aus abgetretenem Recht der Zedentin verfolgt der Kläger die Erstattung der Rechtsanwaltskosten. Das AG hat ihm zwei 0,3 Geschäftsgebühren nach Nr. 2302 VV a.F. (= Nr. 2301 VV) nebst Auslagenpauschalen und Umsatzsteuer für jeweils ein Schreiben einfacher Art zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen. Die vom AG zugelassene und auf die Differenz zu zwei 0,8 Geschäftsgebühren gem. Nr. 2300 VV zuzüglich Auslagenpauschalen und Umsatzsteuer beschränkte Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein vorinstanzliches Begehren weiter.
2 Aus den Gründen
Da der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht vertreten war, ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil beruht aber nicht auf der Säumnis, sondern auf einer umfassenden Sachprüfung (vgl. BGH, Urt. v. 4.4.1962 – V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 ff.; v. 4.7.2013 – IX ZR 229/12, WM 2013, 1615 Rn 6, insoweit nicht abgedr. in BGHZ 198, 77).
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit die Berufung des Klägers zurückgewiesen worden ist, und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Gläubiger, der aus Gründen der sich aus § 254 BGB ergebenden Schadensminderungspflicht gehalten sei, den Schaden möglichst gering zu halten, habe den Umfang der Einschaltung eines Rechtsanwalts an den objektiven Erfordernissen der Rechtsverfolgung zu orientieren. Wenn, wovon im vorliegenden Fall auch mangels entgegenstehenden, den konkreten Fall betreffenden Vortrags des Klägers auszugehen sei, über ein einfaches Mahnschreiben hinaus keine weiteren anwaltlichen Tätigkeiten geboten seien, sei der Gläubiger gehalten, seinen Auftrag entsprechend zu begrenzen.
II. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Der aus abgetretenem Recht der Zedentin geltend gemachte materielle Kostenerstattungsanspruch aus § 280 Abs. 2, § 286 BGB ist nicht auf die 0,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV a.F. (= Nr. 2301 VV) beschränkt.
1. Nach std. Rspr. des BGH hat der Schädiger nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH, Urt. v. 8.11.1994 – VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348, 350 [= AGS 1995, 30]; v. 23.10.2003 – IX ZR 249/02, NJW 2004, 444, 446; v. 18.1.2005 – VI ZR 73/04, NJW 2005, 1112; v. 6.10.2010 – VIII ZR 271/09, WuM 2010, 740 [= AGS 2011, 102]; v. 23.1.2014 – III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 Rn 48 [= AGS 2015, 97]). Maßgeblich ist die ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person (BGH, Beschl. v. 31.1.2012 – VIII ZR 277/11, NZM 2012, 607 Rn 4 [= AGS 2012, 360]). Dabei sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt (BGH, Urt. v. 8.11.1994, a.a.O., S. 351; v. 18.1.2005, a.a.O.).
Ein Schadensfall in diesem Sinne liegt auch vor, wenn der Schuldner einer Entgeltforderung (vgl. BGH, Urt. v. 16.6.2010 – VIII ZR 259/09, NJW 2010, 3226 Rn 12; v. 17.7.2013 – VIII ZR 334/12, NJW 2014, 1171 Rn 13) in Zahlungsverzug gerät (vgl. BGH, Urt. v. 6.10.2010, a.a.O.; v. 31.1.2012, a.a.O.; v. 16.7.2015 – IX ZR 197/14, z.V.b.). Zur Beitreibung einer solchen Forderung ist dann regelmäßig selbst in einfach gelagerten Fällen die Beauftragung eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig (vgl. BGH, Urt. v. 8.11.1994, a.a.O., S. 353). Das seinerseits Erforderliche tut der Gläubiger dadurch, dass er den Schuldner in Verzug setzt. Eine weitere Verzögerung der Erfüllung se...