Leitsatz
- Wird der Streitgegenstand des Verfahrens nachträglich durch Änderung des Klageantrags vollständig ausgetauscht (Klagewechsel), das gerichtliche Verfahren dann aber vor Klärung der Zulässigkeit des Klagewechsels beendet, kommt eine Addition der Werte des ursprünglichen und des wirtschaftlich nicht identischen neuen Streitgegenstandes bei Bemessung des Verfahrenswerts nicht in Betracht.
- Allerdings kommt insoweit ein Mehrwert des Vergleichs in Betracht, wenn die Parteien eine Einigung unter Einbeziehung der Klageänderung schließen.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.6.2016 – 4 W 42/16
1 Sachverhalt
Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten begehrt Heraufsetzung des vom LG auf 12.500,00 EUR festgesetzten Gebührenstreitwerts.
Der Kläger hatte die Beklagte als Erbin seiner verstorbenen Ehefrau zunächst wegen behaupteter Pflichtteilsansprüche bei einem vorläufigen Streitwert von 12.500,00 EUR im Wege der Stufenklage in Anspruch genommen. Das LG ließ zur Frage der Wirksamkeit eines Erbverzichts, den der Kläger in dem zwischen den Eheleuten geschlossenen "Separation Agreement" v. 12.2.2012 nach kanadischem Recht erklärt hatte, ein Rechtsgutachten einholen. Nach Eingang des Gutachtens hat der Kläger seine Klage mit Schriftsatz v. 15.9.2015 geändert und statt der Pflichtteilsansprüche nun aus einer zusätzlichen "Vereinbarung zum Separation Agreement", ebenfalls v. 12.2.2012, Zahlung von 13.236,00 EUR verlangt.
Die Beklagte hat der Klageänderung widersprochen. Das LG hat mit Verfügung v. 9.11.2015 darauf hingewiesen, dass es die Klageänderung voraussichtlich für nicht sachdienlich halte. In der nachfolgenden mündlichen Verhandlung haben die Parteien den Rechtsstreit durch Vergleich beendet, ohne dass eine gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Klageänderung ergangen war. Den Streitwert hat das LG auf 12.500,00 EUR festgesetzt, den Mehrwert des Vergleichs auf 13.236,00 EUR.
Gegen diese Streitwertfestsetzung richtet sich der Beklagtenvertreter mit seiner Streitwertbeschwerde, mit der er eine Addition der Werte des ursprünglichen und des wirtschaftlich nicht identischen neuen Streitgegenstandes begehrt. Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
2 Aus den Gründen
Die Beschwerde des Beklagtenvertreters ist gem. § 68 Abs. 1 GKG, § 32 Abs. 2 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Die Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Streitwert für die Gerichtsgebühren ist zu Recht auf den Wert des ursprünglichen Klagegegenstandes festgesetzt worden. Die Werte des ursprünglichen und des wirtschaftlich nicht identischen neuen Streitgegenstandes sind im Streitfall nicht zusammenzurechnen.
1. Wird der Streitgegenstand des Verfahrens nachträglich durch Änderung des Klageantrags vollständig ausgetauscht (Klagewechsel), sind in Bezug auf die Festsetzung des Gebührenstreitwerts folgende Konstellationen zu unterscheiden:
a) Die Klageänderung wird mangels Sachdienlichkeit nicht zugelassen und der Gegner verweigert seine Zustimmung.
In diesem Fall bleibt es nach allgemeiner Auffassung beim bisherigen Streitwert für den ursprünglichen Streitgegenstand. Über den neuen Streitgegenstand wird nicht entschieden, denn es wird bereits der Wechsel zum neuen prozessualen Anspruch zurückgewiesen (OLG Bamberg, Beschl. v. 7.1.2013 – 6 W 51/12, juris [= AGS 2013, 242]; OLG Schleswig, Beschl. v. 22.6.2001 – 5 U 87/91, juris; Schneider/Herget/Kurpat, Streitwertkommentar, 14. Aufl., 2016, Rn 3322; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., 2016, § 263 Rn 18).
b) Die Klageänderung wird zugelassen bzw. die Einwilligung des Gegners wird erteilt.
aa) Austausch wirtschaftlich identischer Ansprüche:
Nach allgemeiner Meinung erfolgt keine Zusammenrechnung der Werte der Ansprüche, da sie wirtschaftlich denselben Gegenstand betreffen (vgl. Schneider/Herget/Kurpat, a.a.O., Rn 3322).
bb) Austausch wirtschaftlich nicht identischer Streitgegenstände:
Ob die Werte der vor und nach einer – zugelassenen – Klageänderung nach § 263 ZPO geltend gemachten Ansprüche bei fehlender wirtschaftlicher Identität zusammenzurechnen sind, ist in Rspr. und Lit. umstritten. Wirtschaftliche Identität fehlt immer dann, wenn die Ansprüche nebeneinander bestehen könnten, das Gericht also beiden Ansprüchen stattgeben könnte (vgl. Liebheit, JuS 2001, 687).
Im Hinblick darauf, dass § 39 GKG die kumulative und gleichzeitige Geltendmachung mehrerer Ansprüche voraussetze, wird die Addition der Werte der prozessualen Ansprüche zum Teil abgelehnt: OLG Frankfurt, Beschl. v. 4.3.2009 – 3 W 3/09, juris [= AGS 2009, 247]; OLG Dresden, Beschl. v. 29.12.2006 – 5 W 1517/06, juris [= AGS 2007, 517]; OLG Schleswig, Beschl. v. 28.2.2012 – 17 W 1/12, juris; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.8.2010 – I-24 W 9/10, juris [= AGS 2011, 86]; OLG Stuttgart, Beschl. v. 20.12.2011 – 4 W 74/11, juris).
Für die Addition haben sich demgegenüber ausgesprochen: LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 3.11.2014 – 5 Ta 125/14, juris [= AGS 2014, 562]; OLG Celle, Beschl. v. 20.5.2008 – 2 W 108/08, juris [= AGS 2008, 466]; bestätigend OLG Celle, Beschl. v. 9.6.2015 – 2 W 132/15,...