ZPO §§ 91 Abs. 1 S. 1, 104
Leitsatz
Werden umfangreiche Gutachten, welche die beklagte Partei mangels eigener Sachkunde nicht nachvollziehen kann, zur Grundlage einer Klage gemacht, können unabhängig von der Darlegungs- und Beweislast die Kosten für von ihr eingeholte Sachverständigengutachten nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO erstattungsfähig sein.
BGH, Beschl. v. 12.9.2018 – VII ZB 56/15
1 Sachverhalt
Mit beim LG am 29.8.2011 eingegangener Klageschrift v. 24.8.2011 leitete die Klägerin ein Klageverfahren ein, mit dem sie Restwerklohn und Ansprüche wegen Bauzeitverlängerung und Erhöhung des Stahlpreises bei einem öffentlich ausgeschriebenen Bauvorhaben i.H.v. über 460.000,00 EUR gegen den Beklagten, einem Wasserverband, geltend machte. Zur Begründung ihrer Ansprüche stützte sich die Klägerin auf baubetriebliche Gutachten der M. AG v. 1.4. und 11.5.2010 sowie 14.4.2011. Die Kosten für die Gutachten machte sie i.H.v. 60.000,00 EUR zum Gegenstand ihrer Ansprüche.
Das LG wies – nach Teilrücknahme und Abschluss eines Zwischenvergleichs – die Klage mit Urt. v. 20.11.2011 ab und verurteilte die Klägerin, 90% der Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die gegen dieses Urteil von der Klägerin eingelegte Berufung blieb erfolglos.
Vor Einreichung der Klage hatte die Klägerin die Gutachten der M. AG dem Beklagten übersandt und die sich aus den Gutachten ergebenden Forderungen geltend gemacht. Mit Anwaltsschreiben v. 15.7.2011 hatte der Beklagte eine Rückäußerung bis zum 5.9.2011 angekündigt, falls die Klägerin sich nicht vorher zur Klageerhebung entschließen sollte. Einen Entwurf der Klageabschrift hatte die Klägerin mit Anwaltsschreiben v. 12.8.2011 übersandt.
Mit Vertrag v. 22./29.7.2011 beauftragte der Beklagte die K. GmbH mit der "Prüfung des baubetrieblichen Nachtrags" in Form von Stellungnahmen zu den baubetrieblichen Gutachten der M. AG. Die K. GmbH begann mit ihren Arbeiten am 22.8.2011. Diese endeten Anfang 2012. Während des Rechtsstreits beauftragte der Beklagte zusätzlich die I. GbR mit gutachterlichen Stellungnahmen. Deren Tätigkeit endete Mitte 2012.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Beklagte zunächst beantragt, die Kosten für die von ihm eingeholten Gutachten i.H.v. 107.577,30 EUR festzusetzen. Das LG hat den Antrag zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat der Beklagte sofortige Beschwerde eingelegt und die Festsetzung von Kosten für Gutachten der K. GmbH i.H.v. 38.244,01 EUR (davon entfielen 6.768,13 EUR auf die Tätigkeit der K. GmbH bis 31.8.2011) und für Gutachten der I. GbR i.H.v. 26.433,38 EUR, insgesamt 64.677,39 EUR begehrt. Im Wege der Abhilfe hat das LG den Gesamtbetrag als notwendige Kosten des Rechtsstreits anerkannt und entsprechend der Kostenquote einen Betrag von 58.209,65 EUR festgesetzt. Gegen den (Abhilfe-)Beschluss hat die Klägerin sofortige Beschwerde eingelegt, der das LG nicht abgeholfen hat. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihr Begehren, Kosten für die Privatsachverständigen des Beklagten im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu berücksichtigen, weiter.
2 Aus den Gründen
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
Entscheidend für die Festsetzung der Kosten eines Privatgutachters sei die sogenannte Prozessbezogenheit, die gegeben sei. Die K. GmbH habe mit ihren Arbeiten zur Fertigung einer Stellungnahme zu dem baubetrieblichen Gutachten der M. AG zwar bereits am 22.8.2011 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin den Beklagten jedoch bereits mit Anwaltsschreiben v. 12.8.2011 den Entwurf der Klageschrift übersandt, die auch noch im August beim LG eingereicht worden sei. Zum Zeitpunkt der Auftragserteilung Ende Juli 2011 seien die Verhandlungen der Parteien über eine außergerichtliche Beilegung der völlig konträren Standpunkte so festgefahren gewesen, dass jedenfalls der Beklagte noch vor Prüfung der mit der Hilfe der M. AG untermauerten Ansprüche der Klägerin ernsthaft mit dem Versuch der klageweisen Durchsetzung der Ansprüche gerechnet habe. Ein Rechtsstreit habe also ganz konkret im Raum gestanden.
Allerdings seien nach ganz h. A. die Kosten eines während des Rechtsstreits eingeholten Gutachtens grds. nur selten von § 91 Abs. 1 ZPO erfasst, weil es Sache des Gerichts sei, streitige Sachverhalte durch Beweisaufnahme zu klären, und weil es den Parteien zumutbar sei, das Ergebnis der Beweisaufnahme abzuwarten. Der BGH mache die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Einholung eines im Prozess eingeholten Privatsachverständigengutachtens davon abhängig, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich habe ansehen dürfen. Er habe diese Frage insbesondere in Fällen bejaht, in denen die Partei infolge fehlender Sachkenntnis ohne die Einholung des Privatgutachtens nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage gewesen sei. Im vorliegenden Fall habe der Beklagte nur mit Hi...