ZPO § 299 Abs. 2
Leitsatz
- Dem Rechtsschutzversicherer ist die Einsicht in die Gerichtsakten ohne Einwilligung der Parteien zu gestatten, wenn diese hinreichend glaubhaft darlegt, dass ein Rechtsschutzvertrag besteht, aufgrund dessen für das konkrete Verfahren Zahlungen erfolgten und keine gleichwertigen berechtigten Interessen der Prozessparteien vorgetragen oder erkennbar sind, die das Geheimhaltungsinteresse der Parteien überwiegen lassen.
- Der Umfang der Akteneinsicht bestimmt sich nach dem Antrag. Wird Mitteilung über die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses begehrt, beschränkt sich die Akteinsicht im Verneinungsfall auf die Auskunft über Einzahlung und Zustellung.
LG München I, Bescheid v. 1.7.2020 – I 33 O 13244/15
1 Aus den Gründen
Der Rechtsschutzversicherer A (im Folgenden: Gesuchsstellerin), hat, vertreten durch die Rechtsanwaltskanzlei B, mit Schreiben v. 17.4.2020 um Mitteilung gebeten, ob der Gerichtskostenvorschuss von 723,00 EUR eingezahlt wurde. Bejahendenfalls hat sie Antrag auf Akteneinsicht gestellt.
Die Klageseite hat der Akteneinsicht widersprochen. Eine Anhörung der von der Klage bislang nicht informierten Beklagtenseite ist nicht erfolgt.
Auf Nachfrage des Gerichts mit Verfügung v. 14.5.2020 hat die Gesuchsstellerin ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht wie folgt begründet:
Der Kläger habe in dieser Angelegenheit als ihr Versicherungsnehmer Kostenschutzzusage von der Gesuchsstellerin erhalten. Nachdem der Kläger die Gerichtskostenrechnung über 723,00 EUR verbunden mit der Bitte um Ausgleich mit Schreiben v. 18.1.2016 an sie gesandt hatte (Anlage zum Schriftsatz v. 27.5.2020), habe die Gesuchsstellerin den Betrag von 723,00 EUR an ihn gezahlt mit der Bitte um Weiterleitung an die Gerichtskasse. Über den weiteren Verlauf der Sache habe der Kläger die Gesuchsstellerin – auch auf deren Nachfrage – nicht informiert. Ob der Betrag an die Gerichtskasse eingezahlt worden sei, sei der Gesuchsstellerin nicht bekannt. Ob der Kläger die zweckbestimmte Zahlung der Gesuchsstellerin bestimmungsgemäß verwendet habe, sei nicht bekannt. Auch ein etwaiger Fortgang des Verfahrens und mögliche Kostenerstattungsansprüche gegen Prozessgegner seien für die Gesuchsstellerin mit Blick auf § 86 VVG (Übergang auf sie als Versicherer) von Interesse. Zur Prüfung sei Einsicht in die Gerichtsakte erforderlich.
1. Die Akteneinsicht war in der eingeschränkten Form der begehrten Mitteilung über die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses zu bewilligen, weil die Gesuchsstellerin ein berechtigtes Interesse nach § 299 Abs. 2 ZPO durch die vorgelegten Dokumente hinreichend glaubhaft gemacht hat (unten a.) und dieses Interesse das Geheimhaltungsinteresse der Prozessparteien überwiegt (unten b.).
a) Voraussetzung für das Vorliegen eines rechtlichen Interesses i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO ist jedenfalls ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes, gegenwärtig bestehendes Verhältnis einer Person zu einer anderen oder zu einer Sache; bloße wirtschaftliche oder gesellschaftliche Interessen reichen nicht aus. Als rechtliches Interesse ist deshalb anzuerkennen, wenn Rechte des Antragstellers durch den Akteninhalt auch nur mittelbar berührt werden können. Das ist zu bejahen, wenn sich deutliche Anhaltspunkte für einen eigenen Anspruch des Dritten ergeben (MüKoZPO/Prütting, 6. Aufl., 2020, ZPO § 299 Rn 21).
Die Gesuchsstellerin hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass ein Rechtschutzversicherungsvertrag zwischen der Klageseite und der Gesuchsstellerin besteht, das auch das vorliegende Verfahren betrifft, und dass es im Rahmen dieses Rechtsverhältnisses zu einer für den Gerichtskostenvorschuss bestimmten Zahlung durch die Gesuchsstellerin an den Kläger gekommen ist. Die erstrangig begehrte Information, ob der Gerichtskostenvorschuss eingezahlt wurde, ist für die Gesuchsstellerin für etwaige Ansprüche in Bezug auf das Versicherungsvertragsverhältnis relevant.
b) Liegt ein rechtliches Interesse des Dritten vor, ist bei der Entscheidung dieses Interesse des Dritten an der Akteneinsicht mit dem Geheimhaltungsinteresse der Prozessparteien gegeneinander abzuwägen (Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl., § 299 Rn 3).
Der Kläger hat seine Zustimmung verweigert, ohne Gründe dafür anzuführen. Der Beklagte wurde nicht angehört, weil er mangels Zustellung von dem Verfahren noch gar keine Kenntnis hat. Unter Abwägung der Geheimhaltungsinteressen der Parteien und des rechtlichen Interesses der Gesuchsstellerin überwiegt das Letztere. Greifbare gleichwertige berechtigte Interessen der Partien sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
2. Eine weitergehende Akteneinsicht ist von der Gesuchsstellerin nicht beantragt, weil sie unter der Bedingung erklärt war, dass der Gerichtskostenvorschuss schon eingezahlt ist. Die Bedingung ist nicht eingetreten.
Mitgeteilt von Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt) Till Humpe, LL.M., Düsseldorf
2 Anmerkung
Berechtigt ist berechtigt
Der Entscheidung des LG München lag ein alltäglicher Sachverhalt zu Grunde.
Im Rahmen eines rechtsschutzversicher...