RVG VV Nrn. 3102, 3106
Leitsatz
- Die Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV) für ein Untätigkeitsklageverfahren ist regelmäßig deutlich unterhalb der Mittelgebühr zu bemessen (hier: doppelte Mindestgebühr).
- In Fällen des Erlasses des beantragten Verwaltungsakts und anschließender Erledigungserklärung im Untätigkeitsklageverfahren fällt eine (fiktive) Terminsgebühr (Nr. 3106 VV) nicht an (vgl. Senatsbeschl. v. 2.7.2019 – L 10 SF 4254/18 E-B).
LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 4.8.2020 – L 10 SF 466/20 E-B
1 Aus den Gründen
Die statthafte und auch i.Ü. zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat die Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzungsverfügung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Gerichts zu Recht zurückgewiesen. Es hat in den Gründen der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage der gleichermaßen ausführlichen wie zutreffenden Begründung der Vergütungsfestsetzungsverfügung und unter Darstellung der maßgeblichen Rechtsvorschriften im Einzelnen dargelegt, dass und warum der Erinnerungsführer keinen Anspruch auf eine höhere Vergütung aus der Staatskasse für seine Tätigkeit als nach dem Recht der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordneter Rechtsanwalt hat. Dabei hat das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass bei der Bewertung von Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit in einem Untätigkeitsklageverfahren dessen eingeschränkter Streitgegenstand (Erlass des begehrten Verwaltungsakts) zu berücksichtigen ist, dass die Klärung materiell-rechtlicher Fragen im Hinblick auf den Inhalt der begehrten Verwaltungsentscheidung außerhalb der allein klagegegenständlichen Untätigkeit der Behörde liegt und dass bzw. warum die Tätigkeit des Erinnerungsführers in Ansehung dessen hier nur als deutlich unterdurchschnittlich zu qualifizieren und damit mit einer Verfahrensgebühr (Nrn. 3102, 1008 VV) unterhalb der sog. Mittelgebühr (hier: doppelte Mindestgebühr aus dem wegen einem zusätzlichen Auftraggeber erhöhten Betragsrahmen ab 65,00 EUR x 2 = 130,00 EUR) zu vergüten ist. Das SG hat ferner zutreffend und unter Hinweis auf die Rspr. des erkennenden Senats (Senatsbeschl. v. 2.7.2019 – L 10 SF 4254/18 E-B, juris Rn 14 ff. m.w.N.) entschieden, dass der (außergerichtliche) Erlass des begehrten Verwaltungsakts mit anschließender einseitiger Erledigungserklärung keine Beendigung "nach angenommenem Anerkenntnis" i.S.d. Anm. S. 1 Nr. 3 zu Nr. 3106 VV darstellt und dass eine erweiternde Auslegung bzw. analoge Anwendung dieser Gebührenbestimmung nicht in Betracht kommt, sodass eine (fiktive) Terminsgebühr nicht gerechtfertigt ist. Der Senat nimmt darauf – ebenso wie auf die entsprechende Begründung der Vergütungsfestsetzungsverfügung – Bezug, sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidungen zurück (vgl. § 142 Abs. 2 S. 3 SGG).
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Soweit der Erinnerungsführer meint, die Untätigkeitsklage sei "umfangreich" begründet worden, hat bereits das SG darauf hingewiesen, dass dies – gemessen an durchschnittlichen sozialgerichtlichen Verfahren – schlicht unzutreffend ist. Zum anderen ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit objektiv zu bestimmen. Es kommt auf den zeitlichen Aufwand an, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und den er davon objektiv auch auf die Sache verwenden musste (vgl. nur BSG, Urt. v. 12.12.2019 – B 14 AS 48/18 R, juris Rn 17, 20 m.w.N.). Die sog. Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) ist als eine bloß auf formelle Bescheidung gerichtete Bescheidungsklage ausgestaltet (BSG, Urt. v. 23.8.2007 – B 4 RS 7/06 R, juris Rn 16) und richtet sich allein auf den Erlass des begehrten (Widerspruchs-)Bescheids durch die Behörde und nicht auf die Klärung eines materiell-rechtlichen Rechtsverhältnisses; es spielt – von hier nicht vorliegenden Ausnahmesituationen abgesehen – keine Rolle, ob der Kläger einen Anspruch in der Sache selbst hat oder ob der beantragte Bescheid materiell-rechtliche Auswirkungen für ihn hat (vgl. nur Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 13. Aufl., 2020, § 88 Rn 4a m.w.N.). Die Klage setzt allein voraus, dass ein vom Kläger gestellter Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts (§ 88 Abs. 1 SGG) bzw. ein von ihm gegen einen Verwaltungsakt erhobener Widerspruch (§ 88 Abs. 2 SGG) ohne zureichenden Grund – wobei es sich dabei richtigerweise nicht um eine Prozessvoraussetzung handelt (Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 88 Rn 6 m.w.N.) – in angemessener Frist sachlich nicht beschieden wurde. Der Kläger muss also lediglich dartun, dass er einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts gestellt bzw. Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt erhoben hat, dass die Behörde darüber sachlich ohne zureichenden Grund nicht entschieden hat und dass die Sperrfrist (Wartefrist) des § 88 Abs. 1 S. 1 bzw. Abs. 2 SGG abgelaufen ist. Demgemäß handelt es sich bei der anwaltlichen Vertretung in einem Untätigkeitsklageverfahren regelmäßig objektiv um eine einfache, nur...