RVG § 15 Abs. 2
Leitsatz
- Ein und dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG liegt vor, wenn dem Rechtsanwalt ein eigener Auftrag erteilt wurde, die anwaltliche Tätigkeit sich innerhalb ein und desselben Rahmens abspielt und einen inneren Zusammenhang aufweist.
- Grundsätzlich stellt jedes strafrechtliche Ermittlungsverfahren einen Rechtsfall und somit eine eigene Angelegenheit dar. Erfährt das Ermittlungsverfahren mit einem zeitlichen Abstand von mehreren Monaten zwei Erweiterungen um einen weiteren Tatvorwurf mit eigenem Tatzeitraum, für die der Mandant dem Rechtsanwalt jeweils einen weiteren Auftrag erteilt, liegen drei unterschiedliche gebührenrechtliche Angelegenheit vor.
AG Bad Liebenwerda, Urt. v. 28.6.2019 – 12 C 25/19
1 Sachverhalt
Der Kläger verlangt vom Beklagten die Rückzahlung von Rechtsanwaltsvergütung.
Im Jahr 2012 hatte das Finanzamt gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen der Nichtabgabe von Steuererklärungen eingeleitet. Der Kläger beauftragte daraufhin den Beklagten mit seiner Verteidigung. Der Beklagte zeigte gegenüber dem Finanzamt seine Vertretung an. Der Kläger leistete an den Beklagten einen Vorschuss i.H.v. 4.000,00 EUR.
Am 17.9.2013 eröffnete das Finanzamt dem Kläger die Erweiterung des Strafverfahrens wegen der Nichtabgabe der Steuererklärung für die Umsatzsteuer der Jahre 2010 und 2011. Das Finanzamt legte den Tatzeitraum für zwei Handlungen fest v. 30.9.2011 bis zum 31.12.2012.
Am 28.2.2014 zeigte das Finanzamt die Erweiterung des Ermittlungsverfahrens wegen Nichtabgabe der Steuererklärung für das 2009 an. Das Finanzamt bestimmte den Tatzeitraum für die Zeit v. 1.1.2011 bis 18.9.2013. Das Finanzamt versandte zu den in drei Teilen geführten Ermittlungen jeweils gesonderte Anhörungsbögen.
Am 26.10.2016 erstellte der Beklagte die Honorarrechnung. Darin nahm er die Abrechnung für 3 eigene Angelegenheiten vor. Für jede setzte er die Grundgebühr gem. Nr. 4100 VV, Verfahrensgebühr gem. Nr. 4104 VV, Terminsgebühr gem. Nr. 4102 VV, Post- und Telekommunikationspauschale, Fahrtkosten oder Abwesenheitsgeld zu getrennten Terminen nebst Umsatzsteuer an. Die Rechnung ergab einen Überschuss von 544,95 EUR. Diesen Betrag zahlte er dem Kläger zurück.
Der Kläger meint, die Abrechnung sei fehlerhaft. Der Beklagte könne nicht Gebühren für die einzelnen vorgeworfenen Handlungen dreimal in der Rechnung geltend machen. Es handele sich gebührenrechtlich um dieselbe Angelegenheit, wie das KG am 18.1.2012 entschieden habe (1 WS 2/12). Die mehrfach in Rechnung gestellten Verfahrensgebühren wären auch nicht angefallen, wenn der Beklagte für alle Veranlagungszeiträume eine Kompaktberatung vorgenommen hätte. Die Terminsgebühr könne der Beklagte nicht verlangen. Es fehle am konkreten Hinweis zum Gebührenansatz.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Die auf Rückzahlung der Vergütung aus dem Dienstvertrag der Parteien gerichtete Leistungsklage ist unbegründet.
Der Kläger kann die Vergütung vom Beklagten nicht zurückverlangen. Die Parteien schlossen einen Dienstvertrag, der den Kläger zur Zahlung der vereinbarten Vergütung und den Beklagten zur Erbringung der versprochenen Dienste verpflichtet gem. § 611 BGB. Die Vergütung ist fällig mit Erbringung der Dienste gem. 614 BGB oder Beendigung des Dienstverhältnisses. Mit Zahlung der Vergütung hier durch Abrechnung auf den Vorschuss, erfüllte der Kläger seine Zahlungspflicht. Das Schuldverhältnis der Parteien erlosch durch Erfüllung gem. § 362 BGB.
…
Die getrennten Tatzeiträume, für die das Finanzamt nacheinander die Ermittlungen aufnahm, führen dazu, die Tätigkeit des Beklagten gebührenrechtlich nicht als eine Angelegenheit zu betrachten.
Zum Begriff der Angelegenheit führt der BGH aus:
Die Angelegenheit bedeutet den Rahmen, innerhalb dessen sich die anwaltliche Tätigkeit abspielt, wobei im Allgemeinen der dem Anwalt erteilte Auftrag entscheidet. Als Gegenstand wird das Recht oder Rechtsverhältnis angesehen, auf das sich auftragsgemäß die jeweilige anwaltliche Tätigkeit bezieht.
Allerdings relativiert der BGH diese Definition durch die Aussage, dass die Würdigung, ob eine oder mehrere Angelegenheiten vorliegen, vom jeweiligen Einzelfall abhängig und nicht einer generalisierenden Beurteilung zugänglich sind. So kann man wohl sagen, dass eine Angelegenheit dann vorliegt, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Ein Auftrag, ein Rahmen der Tätigkeit, ein innerer Zusammenhang. Nur wenn diese drei Voraussetzungen vorliegen, liegt eine Angelegenheit vor. Fehlt eine der Voraussetzungen, sind mehrere Angelegenheiten gegeben.
So verhält es sich hier. Der Kläger erteilte nicht einen Auftrag, sondern 3 in einem zeitlichen Abstand von mehreren Monaten verteilt auf einen Zeitraum von 14 Monaten. Jeder Tatvorwurf bezog sich auf einen eigenen Tatzeitraum, einen eigenen Tatentschluss des Klägers für den jeweiligen steuerpflichtigen Zeitraum und somit um jeweils eine eigene Tat. Es spielt keine Rolle, wie der strafrechtliche Vorwurf von der Strafverfolgungsbehörde behandelt wird. Grds. stellt daher jedes Ermittlungsverfah...