RVG VV Vorbem. 4 Abs. 3
Leitsatz
Eine Terminsgebühr für einen sog. "geplatzten Termin" entsteht nur, wenn der Rechtsanwalt körperlich im Gerichtsgebäude mit dem Ziel der Teilnahme an dem Termin erscheint; das bloße Antreten der Anreise reicht nicht aus.
OLG Naumburg, Beschl. v. 12.8.2020 – 1 Ws (s) 154/20
1 Sachverhalt
Der den Nebenklägern als Terminsvertreter beigeordnete Rechtsanwalt E. nahm an den insgesamt sechs Hauptverhandlungstagen v. 26. sowie 27. September, 2., 9., 10. u. 16.10.2019 als Vertreter für den Nebenklägervertreter teil.
Rechtsanwalt E. beantragte daraufhin, für seine Tätigkeit im Strafverfahren Kosten und Auslagen i.H.v. 5.377,73 EUR festzusetzen.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Kostenbeamtin des LG die an Rechtsanwalt E. aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf lediglich 4.620,89 EUR festgesetzt und Absetzungen vorgenommen.
Hiergegen wendete sich Rechtsanwalt E. mit seinem als "sofortige Beschwerde" bezeichneten Rechtsbehalt, die als Erinnerung zu behandeln war. Dieser hat die Kostenbeamtin nicht abgeholfen.
Die Strafkammer hat die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 5.125,45 EUR festgesetzt. U.a. hat sie zugunsten von Rechtsanwalt E. gem. Nr. 4120 VV eine Terminsgebühr von 424,00 EUR nebst Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV für einen Termin am 7.10.2020, der nicht stattgefunden hatte, festgesetzt. Die weitergehende Erinnerung hat sie als unbegründet zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss hat sich die Bezirksrevisorin des LG Beschwerde eingelegt und klargestellt, dass sie eine richtungsweisende Entscheidung zu der noch streitigen Problematik "Terminsgebühr für einen geplatzten Termin", also den Termin v. 7.10.2019, anstrebe.
Die Strafkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
2 Aus den Gründen
Die gem. § 56 Abs. 2 S. 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. Abs. 3 S. 2 RVG zulässige Beschwerde der Landeskasse hat in der Sache Erfolg.
Die Strafkammer hat dem Terminsvertreter des Nebenklägervertreters zu Unrecht auch für den Hauptverhandlungstag v. 7.10.2019 die beantragte Gebühr nebst Umsatzsteuer gem. Nr. 4120 VV, Nr. 7008 VV zuerkannt.
Am Ende des Hauptverhandlungstermins v. 2.10.2019 hatte der Vorsitzende angeordnet, dass die Verhandlung am 7.10.2019 um 9.00 Uhr fortgesetzt werde. Sodann waren die Termine v. 7. u. v. 8.10.2019 wegen einer Erkrankung des Vorsitzenden aufgehoben worden.
Der Anruf der Geschäftsstelle, mit dem Rechtsanwalt E. von der Aufhebung der Termine v. 7. u. v. 8.10.2019 informiert worden war, erreichte diesen nach Antritt der Fahrt auf der BAB 2 kurz vor dem Dreieck Braunschweig-Nord.
Die Entfernung zwischen Burgwedel und dem LG Magdeburg beträgt rund 150 km (1 Stunde 50 Minuten). Zur Zeit des Anrufs der Geschäftsstelle hatte Rechtsanwalt E. eine Strecke von rund 60 km zurückgelegt.
Gem. Vorbem. 4 Abs. 3. S. 2 u. 3 zu VV erhält ein Rechtsanwalt eine Terminsgebühr für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die gerichtliche Terminsgebühr setzt also die Tätigkeit eines Rechtsanwalts in einer Hauptverhandlung nach Aufruf der Sache voraus und erfordert die Anwesenheit in seiner Eigenschaft als Verfahrensbeteiligter Rechtsanwalt (vgl. Hartmann/Toussaint, KostR, 49. Aufl., VV 4106, 4107 Rn 7). Dabei ist unerheblich, in welchem Umfang ein Rechtsanwalt in einem Termin seine Tätigkeit entfaltet. Maßgeblich für die Entstehung der Terminsgebühr ist also nach dem eindeutigen Wortlaut der zitierten Bestimmung die Teilnahme des Rechtsanwalts im Hauptverhandlungstermin.
Von dieser Regelung abweichend erhält ein Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch dann, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet, Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV). Dies gilt nicht, wenn er rechtzeitig von der Aufhebung oder der Verlegung des Termins Kenntnis erlangt hat (Vorbem. 4 Abs. 3 S. 3 VV).
Nach dem eindeutigen Wortlaut der genannten Vorschriften setzt also das Entstehen der Terminsgebühr in diesem Ausnahmefall seine körperliche Anwesenheit im Gerichtsgebäude voraus.
Entgegen dem angefochtenen Beschluss, der sich wohl der in der Lit. vertretenen Ansicht, vgl. Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., Vorbem. 4 VV Rn 40, anschließt, geht der beschließende Senat davon aus, dass der Begriff des Erscheinens keiner Auslegung zugänglich ist. Der Begriff des Erscheinens bedarf auch keiner engen Auslegen, sondern bezieht sich eindeutig auf eine körperliche Anwesenheit, OLG Frankfurt, Beschl. v. 22.11.2011 – 2 Ws 135/11. Wollte man bereits die Anreise zu einem Gerichtstermin für ein Erscheinen i.S.d. Vorschrift ausreichen lassen, würde dies zu erheblichen Abgrenzungsproblemen führen, vgl. OLG München, Beschl. v. 13.11.2007 – 1 Ws 986/07 [= AGS 2008, 233], und Beschl. v. 23.4.2018 – 6 St (K) 12/18 [= AGS 2018, 339]; OLG Frankfurt, Beschl. v. 22.11.2011 – 2 Ws 135/11.
Eine Anreise kann nämlich auf verschiedene Arten erfolgen. Beginnt die Anreise schon dann, wenn ein ortsansässiger Rechtsanwalt, der das Gerichtsgebäude zu Fuß aufsucht, sein Bür...