RVG VV Nr. 4102
Leitsatz
Nimmt der Verteidiger an einem von einem gerichtlich beauftragten Sachverständigen anberaumten Explorationstermin teil, verdient er eine Terminsgebühr in analoger Anwendung der Nr. 4102 VV.
LG Hamburg, Beschl. v. 19.10.2020 – 601 Qs 28/20
1 Sachverhalt
In dem Verfahren gegen den ehemaligen Angeklagten wurde Herr Rechtsanwalt G. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit seinem Kostenfestsetzungsantrag hat er für seine Teilnahme an einem Explorationsgespräch mit dem gerichtlich bestellten Sachverständigen am 22.6.2018 eine Terminsgebühr gem. Nrn. 4103, 4102 Nr. 3 VV i.H.v. 166,00 EUR nebst Umsatzsteuer beantragt. Das AG hat den nach Nr. 4103, 4102 Nr. 3 VV geltend gemachten Betrag i.H.v. 166,00 EUR nebst anteiliger Umsatzsteuer für die Teilnahme an dem Explorationsgespräch abgesetzt. Auf die Erinnerung des Rechtsanwalts G. v. 18.12.2019 hat das AG den Kostenfestsetzungsbeschluss dahingehend abgeändert, dass weitere 166,00 EUR als zu zahlende Gebühr festgesetzt werden und wegen der grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage die Beschwerde zum LG zugelassen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Bezirksrevisor am AG als Vertreter der Staatskasse mit seiner Beschwerde.
2 Aus den Gründen
Die gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 2 RVG statthafte und auch i.Ü. zulässige Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss des AG hat keinen Erfolg.
In der Rspr. und in der Lit. werden zu der Frage, ob die enumerative Aufzählung in Nr. 4102 VV abschließend oder einer Auslegung bzw. einer analogen Anwendung zugänglich ist, unterschiedliche Auffassungen vertreten (zum Meinungsstand: Knaudt, in: BeckOK RVG, 49. Edition, Stand. 1.9.2020, RVG 4102 VV, Rn 11 m.w.N.).
Die Kammer schließt sich insoweit der Auffassung des LG Hamburg in dem Beschl. v. 24.11.2016 (617 Ks 22/16 bei juris) sowie des LG Freiburg v. 4.7.2014 (3 KLs 250 Js 24324/12 bei juris) an, dass eine Terminsgebühr für die Teilnahme des Verteidigers an der Exploration seines Mandanten durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen anfällt und die Vergütungsvorschrift des Nr. 4102 VV insoweit entsprechende Anwendung findet.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die überzeugenden Erwägungen in der Entscheidung des LG Hamburg v. 24.11.2016 verwiesen.
Zu Recht hat das AG in dem angegriffenen Beschluss ausgeführt, dass die Entscheidung des LG Hamburg v. 20.8.2019 (603 Qs 53/19) eine andere Fallkonstellation in Form der anwaltlichen Teilnahme an der Gegenüberstellung zweier Fahrzeuge durch den Sachverständigen betrifft – mithin nicht die Teilnahme des Verteidigers an einem Explorationsgespräch durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen. Die Sachverhalte sind entsprechend nicht vergleichbar und stehen nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des LG Hamburg v. 24.11.2016. Für eine entsprechende Anwendung der Vergütungsvorschrift des Nr. 4102 VV bedarf es nämlich stets einer vergleichbaren Interessenslage, die bei der Teilnahme des Verteidigers an der Exploration des Mandanten nach hiesiger Rechtsaufassung unter Berücksichtigung der sachgerechten Erwägungen des LG Hamburg in seiner Entscheidung v. 24.11.2016 gegeben ist, was jedoch nicht zwangsläufig bei der Teilnahme des Verteidigers an der Gegenüberstellung zweier Fahrzeuge durch den Sachverständigen der Fall ist.
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ingmar Gerke, Hamburg
AGS 12/2020, S. 567 - 568