§ 91 Abs. 2 S. 2 ZPO; § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO
Leitsatz
- Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste.
- Ein solcher Wechsel musste dann nicht eintreten, wenn der frühere Prozessbevollmächtigte seine Zulassung deshalb zurückgegeben hatte, weil deren Widerruf aufgrund des Vermögensverfalls des Rechtsanwalts bevorstand.
OVG Lüneburg, Beschl. v. 7.12.2020 – 8 OA 116/20
I. Sachverhalt
In dem Rechtsstreit vor dem VG Osnabrück ließ sich der Kläger nacheinander von zwei Prozessbevollmächtigten vertreten. Zunächst war für den Kläger Rechtsanwalt X tätig, der jedoch seine Zulassung wegen bevorstehenden Widerrufs aufgrund Vermögensverfalls zurückgab. Hieraufhin ließ sich der Kläger nunmehr von dem Rechtsanwalt Y vertreten. Aufgrund der ihm günstigen Kostenentscheidung hat der Kläger – soweit hier von Interesse – sowohl die dem Rechtsanwalt X als auch die dem Rechtsanwalt Y angefallene 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV geltend gemacht. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat nur eine Verfahrensgebühr festgesetzt. Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) hat das VG Osnabrück zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde des Klägers war beim OVG Lüneburg ebenfalls erfolglos.
II. Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten
1. Gesetzliche Regelung
Gem. § 162 Abs. 1 VwGO gehören zu den Kosten sowohl die Gerichtskosten als auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten. Zu diesen Aufwendungen gehören gem. § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, die stets erstattungsfähig sind. Nach dem über § 173 S. 1 VwGO entsprechend anwendbaren § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO sind die Kosten mehrerer Rechtsanwälte nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten muss.
Im Fall des OVG Lüneburg haben die vom Kläger geltend gemachten Anwaltskosten die Kosten eines Rechtsanwalts deshalb überstiegen, weil der Kläger zwei Verfahrensgebühren für zwei Rechtsanwälte geltend gemacht hatte. Folglich kam es für die Erstattungsfähigkeit der zweiten Verfahrensgebühr darauf an, ob in der Person des Rechtsanwalts (hier: Rechtsanwalt X) ein Wechsel eintreten musste.
2. Anwaltswechsel
Die zweite Fallgestaltung des § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO setzt nach Auffassung des OVG Lüneburg voraus, dass der Anwaltswechsel nicht auf einem Verschulden des Beteiligten (hier des Klägers) oder auf einem ihm nach dem Grundgedanken des § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht. Bei Rückgabe der Zulassung trifft den Rechtsanwalt nach der Rspr. des BGH kein Verschulden an dem hierdurch notwendig werdenden Anwaltswechsel, wenn er seine Zulassung aus achtenswerten Gründen aufgegeben hat und er bei Mandatsübernahme nicht vorhersehen konnte, dass er die Zulassung in absehbarer Zeit aufgeben und deshalb den Auftrag voraussichtlich nicht zu Ende führen könne (BGH AGS 2013, 93 = RVGreport 2013, 27 [Hansens]: Rückgabe der Zulassung aus wirtschaftlichen Gründen; BGH AGS 2012, 544 = RVGreport 2012, 422 [Hansens] = zfs 2012, 644 m. Anm. Hansens: Rückgabe der Zulassung wegen Übernahme der Pflege der eigenen Mutter des Rechtsanwalts aufgrund des Ausfalls der bisherigen Pflegeperson). Demgegenüber stellen wirtschaftliche Schwierigkeiten eines Rechtsanwalts regelmäßig keinen achtenswerten Grund i.S.v. § 91 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 ZPO für die Aufgabe der Zulassung dar (s. BGH AGS 2013, 93 = RVGreport 2013, 26 [Ders.]). Vielmehr hat der Rechtsanwalt seine für die Aufrechterhaltung des Kanzleibetriebs erforderliche Leistungsfähigkeit sicherzustellen (BGH, a.a.O.).
3. Die Umstände im Fall des OVG Lüneburg
Nach Auffassung des OVG Lüneburg hatte hier der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers die Notwendigkeit des Anwaltswechsels verschuldet. Rechtsanwalt X habe nämlich seine Zulassung wegen bevorstehenden Widerrufs aufgrund Vermögensverfalls zurückgegeben. Der Umstand, dass dem Kläger diese Situation nicht bekannt gewesen ist, stehe dem nicht entgegen. Dem Kläger sei nämlich gem. § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden seines früheren Prozessbevollmächtigten zuzurechnen. Der BGH (AGS 2013, 93 = RVGreport 2013, 26 [Hansens]) hatte seinerzeit offengelassen, ob der Anwaltswechsel dann notwendig war, wenn die wirtschaftlichen Schwierigkeiten auch auf unvorhersehbaren persönlichen Gründen des Rechtsanwalts beruhten. Derartige Gründe, für die der Kläger nach Auffassung des OVG Lüneburg die Beweislast trägt, waren von ihm nicht vorgetragen worden und seien auch sonst nicht ersichtlich.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Notwendiger Anwaltswechsel
Die Entscheidung des OVG Lüneburg liegt auf der Linie der st. Rspr. des BGH. Danach sind bei einem Anwaltswechsel die hierdurch entstehenden Mehrkosten nur dann notwendig i.S.v. § 91 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 ZPO, wenn er nicht auf ein Verschulden der Partei oder ein ihr nach dem Grundgedanken ...