§ 52 RVG
Leitsatz
Der Anspruch des gerichtlich bestellten Verteidigers gegen den Beschuldigten auf Zahlung der Wahlverteidigergebühren entfällt nach teilweisem Freispruch oder sonstigem teilweisen Obsiegen des Beschuldigten nicht nur i.H.d. darauf entfallenden Anteils, sondern i.H.d. gesamten gezahlten Pflichtverteidigergebühren.
LG Koblenz, Beschl. v. 7.11.2022 – 9 Qs 74/22
I. Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft hat die Angeklagte wegen gewerbsmäßigen Diebsstahls in sechs Fällen angeklagt. Der Rechtsanwalt ist dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Das AG hat die Angeklagte – nach Einstellung des Verfahrens gern. § 154 Abs. 2 StPO i.Ü. – wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen und Diebstahls unter Einbeziehung einer anderen Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt. Wegen eines weiteren versuchten Diebstahls wurde sie darüber hinaus zu einer weiteren Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.
Auf die Berufung der Angeklagten hat das LG die Angeklagte des Diebstahls in drei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, und der Urkundenfälschung in zwei weiteren Fällen schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Kosten des Berufungsverfahrens wurde einem damals weiteren Mitangeklagten und der Angeklagten auferlegt – dieser jedoch mit Ausnahme ihrer notwendigen Auslagen, die der Staatskasse auferlegt wurden.
Mit seinem Kostenfestsetzungsantrag hat der Rechtsanwalt die Festsetzung seiner Pflichtverteidigergebühren für die erste und zweite Instanz i.H.v. 4.817,54 EUR beantragt. Die Kostenfestsetzung erfolgte antragsgemäß, der festgesetzte Betrag wurde angewiesen. Mit einem weiteren Kostenfestsetzungsantrag hat der Pflichtverteidiger sodann beantragt, zusätzlich für das Berufungsverfahren i.H.v. 233,24 EUR (insgesamt 919,87 EUR abzgl. der bereits festgesetzten und ausgezahlten Pflichtverteidigervergütung für die zweite Instanz i.H.v. 686,63 EUR) festzusetzen. Zugleich legte er eine Abtretungsvereinbarung vor.
Die Bezirksrevisorin beim LG beantragte, die Gebühren und Auslagen auf 0,00 EUR festzusetzen, da infolge einer Anrechnung der bereits vom Verteidiger bezogenen Pflichtverteidigervergütung für das Verfahren erster und zweiter Instanz nach § 52 Abs. 1 S. 2 RVG kein festzusetzender Betrag mehr verbleibe. Der Rechtsanwalt erklärte hierzu, die Bezirksrevisorin verstehe die von ihr selbst in Bezug genommene Rspr. und Lit. völlig falsch, die Wahlverteidigervergütung sei höher als die gezahlte Pflichtverteidigervergütung zzgl. der beantragten Differenz zur Wahlverteidigervergütung.
Das AG hat den Vergütungsfestsetzungsantrag des Rechtsanwalts zurückgewiesen. Die ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung sei auf die Wahlanwaltsvergütung anzurechnen. Insoweit werde alleine auf den gesamten Erstattungsbetrag abgestellt, den der Verteidiger aus der Staatskasse erhalten habe – unabhängig davon, für welche Verfahrensabschnitte er diesen Betrag erhalten habe. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verteidigers hatte keinen Erfolg.
II. Vollständige Anrechnung
Das AG hat nach Auffassung des LG den Antrag des Verteidigers auf Festsetzung einer Wahlverteidigervergütung zu Recht zurückgewiesen. Die mit dem Festsetzungsantrag geltend gemachte Vergütung für den Berufungsrechtszug sei zwar tatsächlich angefallen, jedoch sei von dem geltend gemachten Betrag i.H.v. noch 233,24 EUR die dem Verteidiger bereits ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung in Abzug zu bringen. Da diese die geltend gemachte Wahlverteidigervergütung um ein Vielfaches übersteigt, war die auszuzahlende Vergütung im Ergebnis auf 0,00 EUR festzusetzen.
Zwar sei der Verteidiger der Verurteilten zum Pflichtverteidiger bestellt und auch im Berufungsrechtszug als solcher tätig gewesen, doch sei es wegen der Regelung des § 52 Abs. 1 S. 1 1. Hs., Abs. 2 S. 1 RVG möglich, anstatt der dem Verteidiger zustehenden Pflichtverteidigergebühren für das Verfahren zweiter Instanz für letzteres Wahlverteidigergebühren auf Grundlage der vom LG getroffenen Kostengrundentscheidung zu Lasten der Staatskasse abzurechnen. Denn nach § 52 Abs. 1 1. Hs. RVG könne auch der gerichtlich bestellte Rechtsanwalt von dem Beschuldigten die Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers verlangen, wenn und soweit dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht (§ 52 Abs. 2 S. 1 RVG).
Dies sei hier geschehen. Der der Verurteilten gerichtlich beigeordnete Verteidiger habe auf Grundlage der Kostengrundentscheidung des LG mit seinem Kostenfestsetzungsantrag – nach Abtretung eines vermeintlich bestehenden Anspruchs der Verurteilten – eine Wahlverteidigervergütung beansprucht und hiermit das sich aus § 52 Abs. 1 S. 1 1. Hs. RVG ergebende Wahlrecht ausgeübt. In § 52 Abs. 1 S. 2 RVG sei allerdings weiter geregelt, dass der Anspruch des Verteidigers gegen den Beschuldigten insoweit entfalle, als die Staatskasse Gebühren gezahlt habe. Hier habe die Staatskasse bereits eine Pflich...