§§ 91 ff., 98, 103 f. ZPO
Leitsatz
- Die Vermutungsregelung des § 98 ZPO, wonach die Kosten eines abgeschlossenen Vergleichs als gegeneinander aufgehoben anzusehen sind, greift erst dann ein, wenn die Parteien anderes nicht vereinbart haben.
- In einem solchen Fall ist eine auch nur konkludent getroffene Kostenregelung vorranging. Erforderlichenfalls ist dabei der Vergleichswortlaut nach den allgemeinen Methoden der Rechtsgeschäftslehre auszulegen.
- Führt auch die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis und weist der Vergleich danach im Kostenpunkt eine Regelungslücke auf, kommt noch eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht.
- Nur wenn sich auch eine ergänzende Vertragsauslegung als nicht möglich erweist, fehlt es an einer Bestimmung der Parteien i.S.v. § 98 S. 1 ZPO mit der Folge, dass insoweit die gesetzliche Kostenfolge eintritt.
- Eine Abgeltungsklausel in einem gerichtlichen Vergleich erfasst typischerweise nur die Hauptsacheansprüche. Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn Ansprüche zur Kostentragung von den Vergleichsparteien vorab gesondert geregelt worden sind.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.9.2022 – 6 W 54/22
I. Sachverhalt
In dem vor dem LG Cottbus geführten Rechtsstreit hatten die Parteien und die Streithelferin des Beklagten, eine Frau F., einen durch Beschl. v. 4.10.2021 gem. § 278 Abs. 6 ZPO festgestellten Prozessvergleich geschlossen. In Ziffer 1 dieses Vergleichs haben die Beteiligten zwei rechtshängige Klagen näher bezeichnet, und zwar den hiesigen Rechtsstreit und einen weiteren vor dem AG Potsdam. In Ziffer 2 haben die Beteiligten eine ausdrückliche Kostenregelung getroffen, in der u.a. geregelt ist:
Zitat
"Der hiesige Beklagte und Frau F. verpflichten sich, in beiden Verfahren keinen Kostenantrag zu stellen und tragen die gesamten Verfahrenskosten sowie die Kosten dieses Vergleichs als Gesamtschuldner."
Ziffer 3 des Vergleichs enthält eine sog. große Abgeltungsklausel für
Zitat
"sämtliche Ansprüche zwischen der Klägerin auf der einen Seite und dem Beklagten … sowie Frau F. auf der anderen Seite, gleich aus welchem Rechtsgrund ...".
Auf den Kostenfestsetzungsantrag der Klägerin hat der Rechtspfleger des LG die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Vergleichs gegen den Beklagten und Frau F. als Gesamtschuldner festgesetzt. Hiergegen hat der Beklagte sofortige Beschwerde eingelegt. Mit dieser hat er geltend gemacht, die in dem Vergleichstext erwähnten "Verfahrenskosten" beträfen nicht auch die Kosten des hiesigen Zivilrechtsstreits. Außerdem hat der Beklagte vorgetragen, in der Kostenregelung fehle vor Nennung der betreffenden Verfahrens- und Vergleichskosten jeweils das Wort "eigene", weil er und seine Streithelferin Frau F. lediglich die eigenen Verfahrenskosten tragen wollten. Sodann hat der Beklagte geltend gemacht, die Kosten des Vergleichs seien nach der gesetzlichen Regelung in § 98 S. 1 ZPO als gegeneinander aufgehoben anzusehen. Schließlich hat der Beklagte seine sofortige Beschwerde darauf gestützt, die Abgeltungsklausel in Ziffer 3 des Vergleichs stünde dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch entgegen.
Das OLG Brandenburg hat die sofortige Beschwerde des Beklagten zurückgewiesen.
II. Vergleich als Grundlage der Kostenfestsetzung
Das OLG Brandenburg hat zunächst darauf hingewiesen, dass hier die Parteien mit der Kostenregelung in dem Vergleich einen rechtsgeschäftlich konstituierten Rechtsgrund für den prozessualen Kostenerstattungsanspruch geschaffen hätten. Dieser stelle einen zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titel i.S.v. § 103 Abs. 1 ZPO dar, aufgrund dessen die Festsetzung der nach der Kostenregelung zu erstattenden Kosten erfolgen könne. Dieser Vergleich sei auch dann Grundlage der Kostenfestsetzung, wenn das Gericht den Inhalt der Kostenregelung deklaratorisch wie hier nach § 278 Abs. 6 ZPO auf übereinstimmenden Antrag der Parteien festgestellt habe.
III. Inhalt der Kostenregelung
1. Kosten des Vergleichs
Gem. § 98 S. 1 ZPO sind die Kosten eines abgeschlossenen Vergleichs als gegeneinander aufgehoben anzusehen, wenn nicht die Parteien anderes vereinbart haben. Diese Vermutungsregelung gilt nach Auffassung des OLG Brandenburg nur dann, wenn die Parteien in der Kostenregelung in dem Vergleich nichts anderes vereinbart haben. Dabei sei auch eine nur konkludente zwischen den Parteien getroffene Kostenregelung vorrangig.
2. Auslegung des Vergleichswortlautes
Nach den weiteren Ausführungen des OLG Brandenburg ist erforderlichenfalls der Wortlaut des Vergleichs nach den allgemeinen Methoden der Rechtsgeschäftslehre nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB auszulegen. Wenn auch die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führe und der Vergleich danach im Kostenpunkt eine Regelungslücke aufweise, komme noch eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht. Nur wenn sich auch eine ergänzende Vertragsauslegung als nicht möglich erweise, fehle es an einer Bestimmung der Parteien i.S.v. § 98 S. 1 ZPO mit der Folge, dass dann die gesetzliche Kostenfolge eintrete.
3. Zuständigkeit für die Auslegung des Prozessvergleichs
a) Grundsatz
Für die Auslegung eines Prozessvergleichs ist nach den wei...