§ 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO
Leitsatz
- Eine Partei (hier: eine Leasinggesellschaft), die eine Vielzahl von im gesamten Bundesgebiet ähnlich gelagerten Prozessen führt, ist erstattungsrechtlich nicht verpflichtet, jeweils gesondert einen Prozessbevollmächtigten am Prozessort zu beauftragen und neu zu instruieren. Vielmehr ist es erstattungsrechtlich anzuerkennen, dass die Partei einen spezialisierten Prozessbevollmächtigten beauftragt, der nicht notwendig seine Kanzlei am Geschäftssitz der Partei hat.
- Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsstreit vor einem Gericht geführt wird, an dessen Ort die Partei ihren Geschäftssitz hat.
- War die Hinzuziehung des auswärtigen Prozessbevollmächtigten notwendig, können die zu erstattenden Kosten bei der Vertretung der Partei vor dem Gericht an ihrem Gesellschaftssitz nicht auf die fiktiven Kosten eines Anwalts begrenzt werden, dessen Kanzleisitz sich an dem von dem Gericht am weitest entfernten Ort innerhalb des Gerichtsbezirks befindet.
BGH, Beschl. v. 5.7.2022 – VIII ZB 33/21
I. Sachverhalt
Der Kläger hatte die beklagte Leasinggesellschaft, die ihren Gesellschaftssitz in München hatte, zunächst vor dem LG Landau in der Pfalz auf Rückabwicklung eines Leasingvertrages in Anspruch genommen. Die Beklagte beauftragte mit ihrer Vertretung in diesem Rechtsstreit eine in Köln ansässige Rechtsanwaltskanzlei. Nach Verweisung des Rechtsstreits an das LG München I ließ sich die Beklagte weiter von dieser Anwaltskanzlei vertreten. Das LG München I hat die Klage abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Beklagte für die erste Instanz u.a. die Festsetzung von Terminsreisekosten ihrer aus Köln angereisten Prozessbevollmächtigten i.H.v. 361,30 EUR begehrt. Die Beklagte hat diesen Antrag damit begründet, sie habe im gesamten Bundesgebiet eine Vielzahl von ähnlich gelagerten Prozessen zu führen. Sie habe deshalb seit vielen Jahren ihre auf Leasingfragen spezialisierten Prozessbevollmächtigten mit Kanzlei in Köln beauftragt. Diese verfügten über einen profunden Einblick in die Struktur, die Organisation und die Vertragsabläufe in ihrem Unternehmen und seien daher als "Hausanwälte" anzusehen. Aufgrund des Einblicks der Anwälte in ihr Unternehmen und das entstandene Vertrauensverhältnis seien die Prozessbevollmächtigten in der Lage, die übergebenen Fälle ohne bzw. nur mit einer kurzen Besprechung bei ihr – der Beklagten – umfassend und sachgerecht zu bearbeiten. Bei der Beauftragung einer Vielzahl von Anwälten in der gesamten Bundesrepublik wäre dies nicht möglich.
Der Rechtspfleger des LG München I hat diese Reisekosten lediglich i.H.v. 44,80 EUR berücksichtigt. Dies hat er damit begründet, die Terminsreisekosten seien auf die fiktiven Kosten eines Anwalts begrenzt, dessen Kanzleisitz sich an dem von dem LG München I am weitest entfernten Ort innerhalb des Gerichtsbezirks befindet.
Die gegen die Absetzung des größten Teils der Terminsreisekosten gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten hat das OLG München zurückgewiesen. Dies hat das OLG damit begründet, die Beklagte sei erstattungsrechtlich zwar nicht gehalten gewesen, für die Vielzahl von im gesamten Bundesgebiet zu führenden ähnlich gelagerten Prozessen jeweils erneut einen Prozessbevollmächtigten am Prozessort zu beauftragen und diesen neu zu instruieren. Hierdurch ausgelöste Mehrkosten seien jedoch nicht automatisch in voller Höhe erstattungsfähig, wenn die Beklagte an ihrem Geschäftssitz verklagt werde und dort ebenfalls Rechtsanwälte vorhanden seien, die in der Lage gewesen wären, sie zu vertreten. In diesem Falle seien lediglich die Reisekosten erstattungsfähig, die einem am Kanzleisitz an dem vom Gerichtsgebäude am weitest entfernten Ort innerhalb des Gerichtsbezirks angefallen wären.
Gegen seine Entscheidung hat das OLG München die Rechtsbeschwerde zugelassen, die die Beklagte auch eingelegt hat. Die Rechtsbeschwerde hatte – vorläufigen – Erfolg.
II. Erstattungsfähigkeit der Terminsreisekosten
1. Gesetzliche Regelung
Gem. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO sind Reisekosten eines Rechtsanwalts der obsiegenden Partei, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, nur insoweit zu erstatten, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war.
2. Notwendigkeit
Der BGH hat darauf hingewiesen, dass bei der Beurteilung der Frage, ob die umstrittenen Terminsreisekosten notwendig waren, auf die Sichtweise einer verständigen und wirtschaftlich vernünftig handelnden Partei aus der Sicht ex ante abzustellen sei (BGH RVGreport 2005, 476 [Hansens]; BGH RVGreport 2013, 67 [Ders.]; BGH NJW 2018, 1693; BGH AGS 2021, 506 [Hansens] = zfs 2021, 708 m. Anm. Hansens). Dabei darf – so fährt der BGH fort – die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Die Partei sei lediglich gehalten, unter mehreren gleichartigen Maßnahmen die konstengünstigste auszuwählen (BGH RVGreport 2013, 67 [Hansens]; BGH NJW 20...